Interview mit Manga Cult – Jahresabschluss 2023, das neue Label Manhwa Cult, „Die Tagebücher der Apothekerin“ und Messen
Passend zum Jahresanfang durften wir Lizenzmanager Domenic Wassiljew von Manga Cult interviewen. Neben dem letzten Jahr waren unter anderem Manhwa Cult, Messen sowie Die Tagebücher der Apothekerin und Demon Slayer – Kimetsu no Yaiba Thema.
Wir bedanken uns herzlich bei Manga-Cult-Lizenzmanager Domenic, der sich erneut die Zeit für uns genommen hat. Nachfolgend werden wir Domenic Wassiljew mit Domenic und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Domenic und vielen Dank, dass du dir wie immer die Zeit für uns nimmst.
Domenic: Immer wieder gerne!
MP: Wie lief 2023 für euch? Wie für den Markt im Gesamten?
Domenic: Der Mangamarkt ist im Jahr 2023 das erste Mal seit fünf Jahren um 1,67 Prozent geschrumpft. Das klingt schrecklich, ist aber einfach nur eine Gegenbewegung zum starken Wachstum im Jahr 2021 und 2022. Tatsächlich stehen wir damit viel besser da als unsere europäischen Kollegen, wo der Markt zum Teil um rund 10 Prozent zurückgegangen ist. Ich vermute, dass der MANGA DAY einen großen Einfluss darauf hatte.
Als Manga Cult haben wir uns wie die meisten Verlage mehr oder weniger parallel zu dieser Marktentwicklung bewegt. Das wird sich wieder ändern! Besonders zufrieden können wir mit der Entwicklung von Die Tagebücher der Apothekerin, Dai Dark, Brutal und Happiness sein.
MP: Mit Manhwa Cult habt ihr jüngst euer eigenes Webtoon-Label angekündigt. Wie kam es zu der Entscheidung? Worauf möchtet ihr dahingehend euren Fokus legen (und euch möglicherweise von anderen abgrenzen)? Sind, wie die Namensgebung impliziert, wirklich nur koreanische Lizenztitel vorgesehen?
Domenic: Ja, wir werden uns mit Manhwa Cult erst einmal auf koreanische Geschichten fokussieren. Wir denken nicht, dass wir langfristig Erfolg mit etwas haben werden, wo uns das tiefe Verständnis für die Kultur und den Markt fehlt. Im Prinzip beantwortet das auch schon, warum wir das Label gegründet haben. Es wäre schade, diese Expertise nicht zu nutzen.
Unser Fokus wird auf verrückten Psychothrillern, entspannten romantischen Komödien, wortgewaltigen Fantasy-Spektakeln und leidenschaftlichen BL-Titeln liegen. Klingt fancy, oder? Letztendlich ist es aber genau das, was wir als Fans gerne lesen.
MP: Das Leben wird aktuell sprunghaft teurer – und (vollfarbige) Printausgaben sind gegenüber Manga noch kostenintensiver. Unter Berücksichtigung dessen: Inwiefern bewertet ihr den „Webtoon-Hype“ als stabil beziehungsweise langlebig?
Domenic: Mein Gefühl ist, dass viele Manga-Leser noch nicht so recht wissen, was sie mit Webtoon-Storys anfangen sollen. Mir ging es ja selber vor einigen Jahren so und im Zweifel greift man dann vielleicht lieber zu einem Manga. Auf den Preis würde ich das weniger schieben: Ich meine, 16 bis 18 Euro für im Durchschnitt 250 bis 320 Seiten? Das zahlt man auch fast für einen Doppelband-Manga.
Was den Boom angeht: Für mein Gefühl sind die meisten Verlage über den ersten Gipfel der überzogenen Erwartungen drüber. Das hängt aus meiner Sicht damit zusammen, dass man überschätzt hat, wie viele Personen Print-Webtoons als Mixed-Media-Franchises erreichen können. Man steht hier einfach im Wettbewerb mit den Japanern, die seit Jahrzehnten nichts anderes machen, als kleine Hypes mit Mixed-Media-Franchises zu schaffen.
Da die japanische Manga-Industrie sich allerdings nun sehr lange auf ihre starken Zugpferde konzentriert hat und noch an ihrem nächsten Demon Slayer: Kimetsu no Yaiba arbeitet, gibt es viel Raum für andere animierte Geschichten. Das sieht man allein schon daran, wie viele Anime nach Jahren plötzlich neue Staffeln bekommen.
Kurzum: Wir sind uns sicher, dass nach dem Tal der Enttäuschungen das Plateau der Produktivität kommt. Entsprechend blicken wir jetzt schon auf eine Zeit nach 2025.
MP: Laut euren Lizenzankündigungen werden die drei in Zusammenarbeit mit HYBE kreierten Werke bei euch noch einmal „redaktionell neu aufbereitet“. Was genau meint das?
Domenic: Die drei HYBE-Titel wurden bereits einmal ins Deutsche übersetzt – im Übrigen von Leuten, bei denen wir sehr glücklich sind, dass sie auch Teil des Teams hinter Manhwa Cult sind. Diese Übersetzung ist dann unsere üblichen Schritte durchlaufen wie Satz, Lektorat und Korrektorat. Außerdem hat die Printausgabe ein paar nette Bonusseiten, die mit Konzeptzeichnungen und Hintergrundinformationen gespickt sind.
MP: Unseres Wissens nach sind die Zusatzkapitel zu Unintentional Love Story nicht in der koreanischen Printausgabe enthalten. Wie wird das hierzulande sein?
Domenic: Die Geschichte besteht aus drei Zweigen: der sechsbändigen Hauptgeschichte, zwei Bänden mit Nebengeschichten und einem Band mit Zusatzgeschichten. Ihr habt recht. Der Band mit den Zusatzgeschichten ist in Korea nur auf der Webtoon-Plattform und als eBook erschienen.
Ob wir diese Side Stories auch veröffentlichen, kann ich noch nicht sagen. Wir sind uns allerdings bewusst, dass wir einen Ruf haben, auf Fanwünsche zu hören.
MP: Und daran anschließend: Wie sieht es bei Manhwa Cult im Allgemeinen mit den Side Stories zu Webtoons aus? Oft sind diese nicht Teil gedruckter Fassungen. Werdet ihr euch deswegen stets um diese Inhalte bemühen, auch wenn das gegebenenfalls höhere Lizenz- und/oder Produktionskosten zur Folge hat?
Domenic: Ob wir Side Stories veröffentlichen, hängt in erster Linie davon ab, ob die Rechte existieren. Gerade bei so einem jungen Medium wie Webtoons sind die Gründe, warum ein Titel hier nicht erscheint, viel komplexer als „Wir glauben nicht, dass er sich verkauft“. Falls sich bei Manhwa Cult allerdings die Möglichkeit ergibt, gleich mehrere Werke eines Autors oder Franchises zu lizenzieren, ergreifen wir sie aktuell gerne.
Und im Zweifel haben wir als ehemaliges Grafikstudio die Expertise, Print-Layouts selbst anzufertigen, und genießen bei vielen Partnern einen guten Ruf, weil wir uns fragen, was für die IP am besten ist. Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt in den nächsten Jahren noch viel, viel weiterkommen.
MP: Bei eurem Label CROCU legt ihr seit diesem Jahr auch ein paar japanische Titel nach: A Man and his Cat: Fukumaru und das Sternenschiff des Glücks, Kikis kleiner Lieferservice und Saint Seiya: Die Krieger Des Zodiac. Wie entscheidet ihr, was Manga Cult ist und was sich unter CROCU besser macht?
Domenic: An Manga Cult und CROCU werkeln grundsätzlich zwei redaktionell unterschiedliche Teams. Was nicht heißt, dass es gar keine Zusammenarbeit zwischen den Labels gibt. A Man and his Cat: Fukumaru und das Sternenschiff des Glücks war eine Idee unserer A Man and his Cat-Übersetzerin Verena Maser und wurde im Team Manga Cult umgesetzt. Saint Seiya: Die Krieger Des Zodiac ist ein Comic zweier Franzosen zum gleichnamigen Kinofilm und wurde von unserem Chef Andreas Mergenthaler genauso ins Spiel gebracht wie Kikis kleiner Lieferservice. Bei Letzterem lief die Kommunikation mit dem japanischen Lizenzgeber in der frühen Phase des Projekts über meinen Tisch.
Ganz allgemein muss man aber mal festhalten: CROCU ist über die anderthalb Jahre, die es das Label gibt, sehr Asien-lastig geworden.
MP: Für Sommer 2024 habt ihr kürzlich euer Programm vorgestellt. Mit Yu Yu Hakusho erfüllt ihr hier einen langersehnten Fan-Wunsch. Wie kam es bei euch zu der Entscheidung, gerade jetzt diesen Titel zu veröffentlichen? Oder war das Ganze schon länger geplant?
Domenic: So wie alle Titel es in unser Programm schaffen: Wir haben nach neuen Titeln für unser Programm gesucht, jemand (in diesem Fall Alex) hat ihn zur Diskussion gestellt und es gab keine überzeugenden negativen Argumente. Von der Netflix-Live-Action-Serie wussten wir da zu dem Zeitpunkt noch gar nichts. Die Besonderheit bei diesem Titel war, dass wir explizit nach einem Titel gesucht haben, der das Potenzial zum Highlight für das Programm Frühling / Sommer 2024 hat. Hat funktioniert, würde ich mal sagen. *lach*
MP: Mit JoJo's Bizarre Adventure – Part 4: Diamond is Unbreakable setzt ihr die Reihe fort, offenbar hat sich das Risiko gelohnt? Könnt ihr etwas zum Erfolg und Aussichten auf die nächsten Parts sagen? Ihr hattet zu Beginn betont, dass ihr die Reihe nur weiterführt, solange sie erfolgreich ist.
Domenic: Ich will weder alarmierend noch ausweichend klingen, deswegen halte ich mich kurz. Bis zum Ende von Part 2 hat JoJo’s Bizarre Adventure 75 Prozent ihrer Lesenden verloren. Das ist ein sehr hoher Wert – normal sind etwa 50 Prozent –, aber kein ungewöhnlicher für einen Klassiker. Wir sehen auch jetzt noch, dass Lesende sich dagegen entscheiden, die Reihe weiterzulesen, und das ist auch völlig okay. Erst einmal werden wir jetzt Part für Part planen. Vielleicht steigt ja noch der ein oder andere bei seinem Lieblingspart ein oder verliebt sich über den Anime in den einzigartigen Stil der Geschichte.
MP: Kannst du schon sagen, auf welchen Messen ihr 2024 sein werdet und für welche davon ihr euch eine Limited Edition oder ähnliches ausgedacht habt?
Domenic: Wir werden 2024 auf der Leipziger Buchmesse, der DoKomi, der AnimagiC und vielleicht noch weiteren Messen sein. Als Cross Cult sind wir außerdem auf dem Comic-Salon Erlangen und der Frankfurter Buchmesse und als Manga Cult Store auf der Comic-Con Stuttgart.
Limited Editions wird es auch wieder geben. Wir kündigen sie dann zeitnah an, aber schon einmal so viel: Falls ihr Angst habt, dass es zum Zeitpunkt der Ankündigung keine Karten mehr gibt, würde ich euch empfehlen eine Karte zu kaufen. *zwinker*
MP: Kommen wir noch zu einigen aktuellen Themen: Maomao bzw. Die Tagebücher der Apothekerin. Wie hin und weg seid ihr selbst vom Anime und wie sehr merkt ihr einen Push hinsichtlich der Verkaufszahlen? (Könnt ihr vielleicht sogar konkrete Zahlen nennen?)
Domenic: Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr wir uns über den Erfolg der Reihe freuen. Schon bei der Anime-Ankündigung meinte ich: „Der erste vollwertige Anime von TOHO animation STUDIO zusammen mit OLM? Das wird ein Prestige-Projekt!“
Diese Auswirkung auf die Manga-Verkäufe sieht man vielleicht bei vier bis acht Titeln im Jahr, verteilt über alle Verlage. Konkret bedeutet das: Der erste Band hat sich mittlerweile über 20.000-mal verkauft und die Bände 1 bis 11 über 120.000-mal.
Ich kann wirklich mit Stolz sagen: Die Tagebücher der Apothekerin ist eine Reihe, wo wir fast nichts hätten besser machen können … und selbst über die Ausstrahlung des Anime hinaus laufen gerade noch zahlreiche Offer von unserer Seite aus, wie wir die Reihe weiter in Deutschland supporten wollen.
Um etwas Kontext zu geben: Die Reihe ist leicht unterdurchschnittlich gestartet, hat sich dann allerdings etwas rumgesprochen. Wir haben uns dennoch entschieden, einen Sammelschuber herauszubringen, sind auf dem Weg nach Leipzig sogar extra bei unserem Produzenten vorbeigefahren, um eine Palette für einen Vorverkauf anderthalb Monate vor offiziellem Verkaufsstart auf der Leipziger Buchmesse zu haben, und schon am ersten Tag – einem Donnerstag – waren fast alle Exemplare weg. Daraufhin sind wir am nächsten Tag frühmorgens vor der Messe noch einmal zu unserem Produzenten gefahren.
MP: Demon Slayer (zumindest die Hauptserie) ist nun bei euch vorbei und hat euch mehr als 3,5 Jahre begleitet. Könnt ihr hier vielleicht ein paar Zahlen nennen, wie gut sich Tanjiro und seine Freunde bei euch geschlagen haben?
Domenic: Sehr gut, wie ich finde. Alle 12 Teufelsmonde wurden unschädlich gemacht – auch in der deutschen Ausgabe! Wie unbeliebt habe ich mich mit dieser Antwort gerade gemacht? Spaß beiseite: Demon Slayer: Kimetsu no Yaiba steuert inklusive Light Novels und Nebengeschichten auf 2 Millionen verkaufte Exemplare zu, und die wollen wir auf jeden Fall noch knacken! Davon hat sich allein Band 1 über 200.000-mal verkauft.
MP: Daran anschließend: Wo denkt ihr, werden euch die nächsten Jahre hinführen, nun wo Demon Slayer abgeschlossen ist?
Domenic: Ich mache mir weniger Gedanken um Manga Cult als um die Entwicklung des Mangamarkts in Deutschland und Japan allgemein. Demon Slayer: Kimetsu no Yaiba wird nie komplett verschwinden! Um das noch ein wenig in den Kontext zu rücken: Kein Titel in Japan war je präsenter als Demon Slayer: Kimetsu no Yaiba, und auch in Deutschland wollen wir mit dem Titel noch in diversen weiteren Metriken auf die Eins vorrücken.
Man darf nicht vergessen: Selbst ohne das ganze Tamtam wird Mein Schulgeist Hanako von etwa einem Drittel der Demon Slayer: Kimetsu no Yaiba-Lesenden mengenmäßig verfolgt. Die Tagebücher der Apothekerin verkauft sich gerade sogar besser als Mein Schulgeist Hanako zu seinen Höchstzeiten.
MP: Könntet ihr euch zukünftig vielleicht auch eine vergünstigte Doppelbandausgabe vorstellen, wie es bei anderen Verlagen gerne der Fall ist?
Domenic: Aus unserer Sicht ist es noch zu früh, darüber ernsthaft nachzudenken. Ein Ende des Anime ist noch nicht angekündigt, und wir sind mit der Veröffentlichung auch noch gar nicht durch: Es kommen zum Beispiel noch das Artbook und Demon Slayer – Kimetsu no Yaiba: School Days bei uns heraus. Wenn das alles durch ist, wie relevant ist der Manga dann noch? Das können wir in ein paar Jahren besser einschätzen.
MP: Worauf freust du dich 2024 am meisten? (Titel, Conventions, alles ist erlaubt!)
Domenic: Manga-Redakteure sind einfach gestrickt: Ich freu mich auf die Reaktionen zu unseren neuen Titeln, die wir ab Mitte März ankündigen. Ich freue mich auf die Titel, die wir im Laufe des Jahres noch entdecken und für die wir Zusagen erhalten werden. Und ich freue mich, das fertige Produkt dann endlich lesen zu können!
Die Titel sind unsere Babys und als gute Mütter und Väter wollen wir bloß ein gutes Leben für sie.
MP: Hast du zum Abschluss noch ein paar Worte an unsere Leser?
Domenic: Wir sind nur so weit gekommen, weil uns viele Manga-Fans da draußen ein unheimlich großes Vertrauen entgegenbringen. Man kann das gar nicht genug betonen! Letztendlich erlaubt uns dieses Vertrauen, den ein oder anderen Titel, der es niemals nach Deutschland schaffen wird, mit etwas weniger Bauchschmerzen herauszubringen. Wir hoffen, dass wir euch das mit unseren neuen Titeln zurückzahlen können … und im Gegenzug noch mehr coolen Scheiß machen können.
MP: Vielen Dank für deine Zeit.
Domenic: Kein Thema!