Interview mit Yuhki Kamatani – Mangaka von „Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit“
Passend zum Start der deutschsprachigen Ausgabe von Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit durften wir ein Interview mit Mangaka Yuhki Kamatani führen. Thema waren unter anderem die Inspirationen für den Manga, künstlerische Vorbilder und Ideen für zukünftige Werke.
Wir möchten uns sowohl bei Carlsen Manga! für die Gelegenheit als auch bei dem japanischen Verlag Kodansha, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem Mangaka Yuhki Kamatani selbst. Nachfolgend werden wir uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Guten Tag, Kamatani-sensei. Vielen Dank für Ihre Zeit.
Kamatani-sensei: Vielen Dank an Manga Passion für diese Gelegenheit. Es freut mich.
MP: Bevor wir den Blick auf Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit richten, lassen Sie uns kurz in die Vergangenheit gehen: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Mangaka geworden sind?
Kamatani-sensei: Ich habe schon in jungen Jahren gerne gezeichnet und Skizzen sowie Illustrationen zu Figuren und Objekten aus Manga und Videospielen angefertigt. Außerdem habe ich mit Bleistift eigene Bilderbücher und Manga gezeichnet. Als Teenager beschloss ich dann, Mangaka zu werden, und nahm an einem Manga-Wettbewerb teil, bei dem ich einen Preis gewann. Das führte zu einer Veröffentlichung in einem Magazin.
MP: Haben Sie Vorbilder, die Sie bei Ihrem Schaffen inspirieren oder inspiriert haben? Wenn ja, wen?
Kamatani-sensei: Moto Hagio-sensei. Sie bildet die Grundlage meiner Darstellungen und ist wie ein starker und heller Leuchtturm, der mir die Richtung zeigt, wenn ich in meinen Darstellungen unsicher bin.
MP: Woher beziehen Sie darüber hinaus Ihre Ideen? Was hat Sie zum Beispiel zu Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit inspiriert?
Kamatani-sensei: Der Ursprung jedes meiner Werke sind Emotionen, die aus meinem Inneren heraus entstehen: Sorgen und Zweifel, Freude und Glück. Auch Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit begann mit dem Wunsch, mich mit der Frage von Leben und Tod, die mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt, auseinanderzusetzen und sie in Form eines Werkes zu behandeln.
MP: „Hiraeth“ ist ein walisisches Wort und bezeichnet das Gefühl der Sehnsucht, welche mit der Trauer über das Verlorene oder Verstorbene verbunden ist. Erinnern Sie sich noch, wie Sie auf diesen Begriff gestoßen sind?
Kamatani-sensei: Von dem Wort „Hiraeth“ selbst habe ich aus dem Buch Lost in Translation – Unübersetzbare Wörter aus der ganzen Welt* erfahren. Ich fand dieses Wort sehr schön und fühlte mich stark davon angezogen, da es, ähnlich wie das japanische „Kyoushuu“ oder das portugiesische „Saudade“, ein starkes Gefühl der Sehnsucht nach dem „Zurückkehren (an jenen Ort)“ beschreibt, unabhängig davon, ob dieser Ort real existiert oder nicht. Ich denke, es ist der perfekte Titel für das Werk.
*Anm. d. Red.: Lost in Translation – Unübersetzbare Wörter aus der ganzen Welt ist ein internationaler Bestseller von Ella Frances Sanders.
MP: Gab es besondere Schwierigkeiten bei der Arbeit an Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit, von denen Sie uns berichten können? Und was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Kamatani-sensei:
Schwierigkeiten
Ich denke, wenn man selbst wählen kann zu sterben, hat man keine Angst vor dem Tod, selbst wenn er sofort eintreten würde. Es wäre ein glücklicher Tod für einen Menschen. Aber ich verstehe auch die Gefühle von Menschen, die den Tod selbst fürchten, und ich wünsche mir natürlich, dass geliebte Menschen, wenn möglich, gesund und munter weiterleben. Das ist meine Wertvorstellung über den Tod und nur meine persönliche Denkweise. Beim Schreiben habe ich daher darauf geachtet, dass jedes Kapitel nicht einseitig von meiner eigenen Wertvorstellung geprägt ist. Ich habe mir die Meinungen der Redaktion und anderer Menschen angehört und versucht, sie bewusst miteinzubeziehen.
Spaß
Ich liebe Roadmovies, in denen es „zurück an einen anderen Ort als hier“ und „zu diesem Ort fahren“ heißt, daher hat es mir am meisten Spaß gemacht, die Reise der drei darzustellen!
MP: Nachdem ihre beste Freundin überraschend stirbt, verliert Mika ihren Lebenswillen. Der Tod ist für viele Menschen etwas sehr Sensibles. Wie sind Sie persönlich an die Bearbeitung dieses Themas herangegangen? Haben Sie dahingehend möglicherweise auch Recherche betrieben?
Kamatani-sensei: Das mag sich mit der Antwort auf die vorherige Frage überschneiden, aber ich denke, dass nicht nur ich, sondern viele Menschen im Alltag darüber nachdenken, wie man über den eigenen Tod und den Tod anderer denkt, ihn akzeptiert und damit lebt. Neben meinen eigenen Auseinandersetzungen mit dem Thema Tod habe ich auch durch Bücher, Filme und manchmal auch durch Erzählungen von Freunden erfahren, wie Menschen mit dem Verlust eines geliebten Menschen leben. Das hat mein Werk geprägt.
MP: Apropos Recherche: Die Mythologie war sicher kompliziert aufzuarbeiten, oder? Sind alle in der Reihe gezeigten Elemente auf Basis von bestimmter Literatur entstanden beziehungsweise welche „Freiheiten“ haben Sie selbst eingebracht – und warum?
Kamatani-sensei: Ich glaube, dass Mythen, die vom Karma erzählen, und Religionen, die die menschliche Lebensweise lehren, eng miteinander verbunden und untrennbar sind, wenn man versucht, Tod und Leben darzustellen. Die in Hiraeth dargestellten Mythen basieren auf der Geschichte von Izanagi und Izanami im Yomotsu Hirasaka aus dem Kojiki* und sind an die Geschichte angepasst worden. Sowohl Hani als auch Hibino habe ich auf der Grundlage bestimmter Ama-tsu-kami** und Kuni-tsu-kami** aus dem Kojiki erschaffen, aber sie sind nicht so dargestellt, dass man eindeutig sagen könnte: „Das ist diese oder jene Gottheit.“
*Anm. d. Red.: Das Kojiki gilt als das älteste überlieferte Schriftstück Japans und enthält Mythen des frühgeschichtlichen Japans, unter anderem die Entstehung des Landes durch die Götter Izanagi und Izanami. Das Yomotsu Hirasaka gilt darin als Grenzort zwischen den Welten der Lebenden und Toten.
**Anm. d. Red.: Als Ama-tsu-kami gelten die Götter, die im Himmel (Takama-no-hara) leben. Kuni-tsu-kami meint dagegen die auf Erden residierenden Götter.
MP: Im Verlauf der Handlung sind verschiedene Tiere und auch ein Drache zu sehen, die uns alle so realitätsnah erscheinen. Woher beziehen Sie Ihre Referenzen für diese Zeichnungen? Und haben Sie allgemein Tipps zum Zeichnen?
Kamatani-sensei: Lebewesen zeichne ich besonders gerne, das Lob freut mich also! Zu Hause beobachte ich besonders oft die Katze meiner Familie, und mein Schatz ist ein Bilderlexikon über Dinosaurier und andere ausgestorbene Lebewesen. Was Fantasiewesen angeht, so lasse ich mich von Fantasy-Filmen, Games, Märchen, Manga, klassischer Literatur und so weiter aus dem In- und Ausland inspirieren.
MP: Wenn Sie in Zukunft einmal ohne jegliche Einschränkungen einen Manga veröffentlichen dürften: Wie würde dieser aussehen? Was für eine Art Geschichte würden Sie gerne einmal erzählen?
Kamatani-sensei: So wie bisher möchte ich auf neue Art und Weise darstellen, was mir gefällt, was mich interessiert und worüber ich immer wieder nachdenke. Oftmals sind Jungen und Mädchen die Protagonisten, aber ich möchte gerne eine Geschichte spinnen, in der die Hauptfiguren berufstätige Erwachsene im besten Lebensalter sind, die dazu neigen, sich im Gleichgewicht der Gesellschaft zu unterdrücken … Ich interessiere mich zudem für japanische Folklore und einheimische Tiere und Pflanzen, und ich möchte diese in Form von Manga wiedergeben.
MP: Haben Sie zum Abschluss noch ein paar Worte an unsere Leserschaft beziehungsweise Ihre Fans?
Kamatani-sensei: Ich möchte allen danken, die mein Werk mit Sorgfalt lesen. Auch allen, die darüber nachdenken, es in Zukunft zu lesen, möchte ich meinen Dank aussprechen. Ich würde mich freuen, wenn Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit euch anregt, über den eigenen Tod, den Tod nahestehender Menschen und den Tod derer, die einem nicht nahestehen, nachzudenken. Memento mori („Gedenke des Todes“) bedeutet im Grunde dasselbe wie über das Leben nachzudenken. Also genießt Mika, Hibino und Hanis fröhliche Reise zur nächsten Welt bitte mit einer positiven Einstellung!
MP: Vielen Dank, Kamatani-sensei. Wir freuen uns bereits, dass Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit bald auch im deutschsprachigen Handel erhältlich ist!*
*Anm. d. Red.: Band 01 ist inzwischen bei Carlsen Manga! erschienen.
Kamatani-sensei: Vielen Dank! Ich würde mich freuen, wenn auch deutschsprachige Leserinnen und Leser die Möglichkeit haben, mein Werk zur Hand zu nehmen und zu lesen.