Der Hamburger Herausgeber Carlsen Manga publizierte in den vergangenen Jahren verschiedene LGBT-Werke, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Ein solcher Titel ist die gezeichnete Tagebuch-Reihe von Kabi Nagata. Nach dem Einzelband Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit folgte die Veröffentlichung der Dilogie Dialoge mit mir selbst – nun ist diese beendet und wir ziehen Fazit zu der Arbeit.
Auch der Ende Dezember erschienene Abschlussband liegt im großformatigen Flexcover vor. Das Papier ist von hoher Qualität und besticht durch seine Dicke sowie die weiße Farbe und glatte Oberfläche. Preislich sind für den Gesamtumfang von 176 Seiten 18,00 Euro (D) durch den Verlag angesetzt. Eine digitale Fassung ist hierzulande nicht verfügbar.
Da wir bislang noch nicht über diese Reihe berichtet haben, verbleibt unsere Inhaltszusammenfassung ohne einschneidende Spoiler zu dem Verlauf der als autobiographisch bezeichneten Darlegungen Nagatas.
Im – ebenfalls bei Carlsen Manga erhältlichen – Prequel-Werk, Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit, widmete sich die eingangs benannte Autorin ihrer Einsamkeit, die sie bereits seit ihrer Oberschulzeit empfindet. Außerdem thematisiert sie ihre homosexuellen Neigungen sowie ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit einer Prostituierten.
In der vorliegenden Fortsetzung ist sie mittlerweile 28 Jahre alt. Noch immer fühlt sie sich nicht lebendig, ihre Depressionen scheinen sich zu intensivieren. Dafür macht sie zunächst auch die elterliche Umgebung verantwortlich, weswegen sie im Folgenden einen Auszug anstrebt. Sie möchte selbstständiger werden. Die Veröffentlichung ihrer ersten Bücher gibt ihr dabei zumindest ein kleines Gefühl von finanzieller Sicherheit. Doch ihre Einsamkeit ebbt auch in der eigenen Wohnung nicht ab. Die seelische Zufriedenheit scheint noch immer in weiter Ferne …
Der Zweiteiler Dialoge mit mir selbst behandelt dabei weniger die Homosexualität der Autorin, sondern viel mehr ihre komplizierte Beziehung zu ihren Verwandten, insbesondere zu ihren beiden Eltern. In diesem Zusammenhang berichtet Nagata auch über die Rezeption ihrer Familie zu den Büchern.
Außerdem ist ein Oneshot namens Chika-chans Schwermut (jap.: Chika-chan no Yuuutsu) der Autorin am Ende des kürzlich erschienenen Abschlussbandes enthalten. Dieser stellt fiktionale Figuren in den Vordergrund, die gegen eine Organisation namens „Gesellschaft“ rebellieren. Auch innerhalb dieser kurzen Geschichte ist eine entsprechende Kritik verpackt, die zudem eine andere Seite der freischaffenden Japanerin offenbart.
Sicherlich ist die Art wie Nagata illustriert einzigartig. Ihre Zeichnungen, stets schwarz-weiß-rosa, sind eher skizzenhaft, wirken unvollständig, teilweise zerbrechlich. Möglicherweise das exakte Spiegelbild der Frau, der das Leben nicht gesonnen zu sein scheint. Die Zeichnungen sind ohnehin als sehr zweckdienlich zu beschreiben. Dadurch ist der Fokus erfolgreich auf die inhaltlichen Tiefen der Geschichte gelenkt.
Der Manga besteht vorwiegend aus schmalen Panels mit großen Kästen, die den benötigten Platz für die schriftlichen Ausführungen der Autorin offerieren. Dieser Stil erinnert auch optisch an ein Tagebuch und unterstützt die Erzählform somit zusätzlich. Das letzte Kapitel, jener Oneshot, erinnert dagegen viel mehr an einen gewöhnlichen Manga – dieser ist zudem lediglich schwarz-weiß gehalten.
Inwiefern die beschriebenen Zeichnungen dem eigenen Geschmack entsprechen kann beispielsweise anhand der digitalen Leseprobe zum ersten Band geprüft werden. Diese ist unter diesem Link direkt oder alternativ hier über die offizielle Webseite des Hamburger Herausgebers aufzurufen.
Innerhalb des Zweiteilers Dialoge mit mir selbst werden Geschehnisse vom 28. bis zum 30. Lebensjahr Nagatas nacherzählt und abgebildet. Die Anordnung der einzelnen Episoden ist dabei zumeist chronologisch. Die jeweiligen Texte sind dabei im Schreibstil eines Tagebuchs, in Ich-Form, durch sie selbst formuliert. Ihre Gedankenwelt scheint klar formuliert. Diese autobiographische Schilderung der Ereignisse vermittelt somit zugleich einen sehr emotiven Einblick in das Leben der japanischen Autorin und Illustratorin.
Neben der im Titel angedeuteten Einsamkeit und den Umgang mit dieser thematisiert Nagata, wie bereits zuvor erklärt, außerdem ihre Beziehung mit ihren Eltern in sehr reflektierter Art und Weise. Dahingehend berichtet sie von den im Laufe der Jahre einstellenden Entwicklungen. Auch mit einer beginnende Alkoholabhängigkeit sowie selbstverletzerischen Verhalten wurde sich innerhalb der Aufzeichnungen – wenn auch oberflächlicher – befasst.
Diese Beschreibung lässt bereits erahnen, dass es sich bei diesem Manga um eine ernsthafte wie betrübende Nacherzählungen der bewegenden Erfahrungen der jungen Frau handelt, die unter dem Pseudonym Kabi Nagata bekannt ist. Doch auch die Gefühle von Nähe, Freundschaft und Liebe finden in Dialoge mit mir selbst Bedacht. Insgesamt überwiegen allerdings die emotionalen Tiefen.
Bereits seit März 2019 begleitet die deutschsprachige Leserschaft die Aufzeichnungen Kabi Nagatas. Den ersten Wunsch, den die Leserschaft, die sich auf den emotionalen Inhalt der autobiographischen Geschichte einlässt, nach dem Lesen verspürt, ist simpel: Die Autorin zu umarmen, ihr Hilfe zu leisten. Die gegebenen Einblicke in ihre schwierige Lebenssituation gehen empathischen Leser*innen sicherlich nahe.
Entsprechend ist diese Arbeit womöglich nur jenen zu empfehlen, die sich in der emotionalen Verarbeitung solcher – durchaus auch deprimierender – Inhalte sicher fühlen. Das ausgewählte Publikum wird sowohl die Darlegungen als auch den besonderen Zeichenstil wertschätzen. Darüber hinaus gefällt die eingangs erklärte – wenn auch sehr preiswerte – Verarbeitung, die Carlsen Manga offeriert.
Genauere Ausführungen zu dem problematischen Alkoholkonsum der Zeichnerin sind außerdem in ihrem Manga Genjitsu Touhi shitetara Boroboro ni natta Hanashi (engl. My Alcoholic Escape from Reality) zu erwarten. Dieser ist hierzulande bislang leider ohne Lizenz. Der englischsprachige Herausgeber Seven Seas Entertainment publiziert diesen jedoch bereits im kommenden April. Dass der Ableger auch hierzulande erscheint, ist gegenwärtig jedoch keineswegs auszuschließen – es ist daher aktuell zu Geduld zu raten.
Wir bedanken uns abschließend herzlich bei Carlsen Manga für die Bereitstellung des zweiten Bandes von Dialoge mit mir selbst, der diese Besprechung für unsere Leserschaft unterstützt.