Interview mit Loewe Manga – über den Launch, das erste Programm und die Lokalisierungspolitik
Passend zu den vergangenen Lizenzankündigungen von Loewe Manga haben wir ein Interview mit Programmleiter Patrick Peltsch geführt. Dabei waren unter anderem der Aufbau des Labels und das Launch-Programm sowie die viel diskutierte Lokalisierungspolitik Thema.
Wir bedanken uns herzlich bei Patrick Peltsch für die mit der Beantwortung unserer Fragen verbundene Mühe und Zeit. Unsere Redaktion kürzt sich im Folgenden mit MP ab.
MP: Hallo, Patrick. Danke, dass du dir Zeit für ein Interview nimmst.
Patrick: Keine Ursache, ich habe mich sehr über die Anfrage und euer Interesse an uns gefreut.
MP: Ende April habt ihr euer Launch-Programm vorgestellt. Wie fallen die bisherigen Reaktionen aus?
Patrick: Überwiegend sehr positiv. Allein die Ankündigung in Leipzig, dass Loewe bald Mangas machen wird, hat unseren neuen Instagram-Account zum Glühen gebracht. Innerhalb von Tagen hatten wir hunderte Follower und Newsletter-Abonnenten. Bei den Fans haben vor allem Kindergarten Wars und Mein Buchcafé in einer anderen Welt für sehr viel Feedback gesorgt, aber auch die anderen Titel kommen gut an. Aus dem Handel gab es ebenfalls viel positives Feedback, einerseits für das Programm, aber auch unsere Verlagsstrategie „Klasse statt Masse“ trifft auf regen Zuspruch. Unsere japanischen Lizenzgeber zollen uns ebenfalls viel Respekt für die Titelauswahl und die Sorgfalt, mit der wir unseren Markteintritt vorbereitet haben.
MP: Welcher Titel ist dein persönliches Highlight – und warum?
Patrick: Kindergarten Wars ist ohne jede Frage das Top-Highlight. Weil er einfach irre viel Spaß macht und weil ich ähnlich wie bei Spy x Family sehr schnell absolut sicher war, dass der bei den Leser*innen super ankommen wird. Da ist einfach alles drin, rasante Action, Comedy, knuffige Kids, ein bisschen wie The Blues Brothers ohne Musik.
YOUCHIEN WARS © 2022 by You Chiba/SHUEISHA Inc. | © 2019 Kyouka Izumi, Ohmiya, Reiko Sakurada / SHOGAKUKAN INC.
MP: Welche Schwierigkeiten beziehungsweise Herausforderungen hattest du beim Aufbau der neuen Programmsparte?
Patrick: Wir wussten ja erst mal gar nicht, ob es uns überhaupt gelingen würde, Titel in Japan zu lizenzieren, und wie lange es dauern würde. Dass jetzt alles ganz schnell ging und ich am Ende alle Lizenzen, die ich haben wollte, auch bekommen konnte, ist ein großes Glück! Auch hat sich der Loewe Verlag von jetzt auf gleich auf das neue Genre eingestellt, da gab es nie die Forderung, das müsse alles genauso ablaufen, wie sie es von anderen Lizenzen gewohnt sind. Ich habe insgesamt von allen Seiten sehr viel Unterstützung erfahren und bin auf große Aufgeschlossenheit getroffen, insofern musste ich also keine Berge versetzen.
MP: Als Programmleiter von KAZÉ Manga warst du für deine strikte Namenspolitik bei der Lokalisierung bekannt: Die Nachnamen wurden, wo immer möglich, durch die Vornamen ersetzt. Wird das bei Loewe Manga auch so sein? Falls ja, erläutere doch bitte die Gründe dafür. Häufig wird mit einer besseren Verständlichkeit für die weniger japanaffinen Fans argumentiert – aber genau diese können doch gegebenenfalls ohnehin nicht zwischen Vor- und Nachnamen unterscheiden. Stattdessen besteht die Gefahr, dass Feinheiten aus dem Original verloren gehen.
Patrick: Inzwischen deutsche ich im Vergleich zu früher sehr viel weniger ein und japanische Begriffe bleiben öfter erhalten. Onigiri oder Sensei werden zum Beispiel nicht automatisch übersetzt, weil ich überzeugt bin, dass in Deutschland mittlerweile ein sehr viel breiteres Basiswissen zur japanischen Kultur vorherrscht als noch vor zehn Jahren. Dennoch bedeutet „übersetzen“ die Übertragung aus der fremden in die eigene Sprache und nicht, so viel es geht im Original zu belassen.
Was die Namen angeht: In Japan reden sich Menschen, die sich nicht nahestehen, erst einmal mit Nachnamen an. Kennt man sich besser, kommt irgendwann das Angebot, sich mit Vornamen anzusprechen. So wie das auch in Deutschland mit „Sie“ und „Du“ gehandhabt wird. Nur wäre es komisch, wenn sich im Manga z. B. Schüler siezen würden, das entspricht nicht unserer Lebensrealität. Zur japanischen Höflichkeitssprache gehören auch die Suffixe, -san, -kun, -chan, -sama, -hime, -dono usw.. Sie drücken ebenfalls persönliche Nähe oder Distanz aus und das eine ohne das andere zu übersetzen, ergibt nicht so wirklich Sinn, das gehört schon zusammen. Da kommt aber sehr schnell der Punkt, an dem nicht mehr klar ist, wo man die Grenze ziehen soll zwischen Originaltreue und Übersetzung. Soll Sakura-chan erhalten bleiben, oni-chan aber nicht? Oder behalten wir auch nee-san und nii-san? Und was ist mit oka-san oder kaa-san? Wo zieht man die roten Linien? Mit welcher Begründung?
Die zweite Schwierigkeit ist, dass ein heilloses Durcheinander der Anreden entsteht, weil sich einige Figuren nahestehen, andere aber nicht. Figur A wird also von Figur B mit Vornamen angeredet, von Figur C aber mit Nachnamen. Und auch das kann wechseln. Je mehr Figuren, desto unübersichtlicher wird es. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, das aufzudröseln, aber es beeinträchtigt schon sehr den Lesefluss und für alle, die keine Experten in Sachen japanischer Etikette sind, ist das schwer nachzuvollziehen. Die entscheiden sich dann womöglich am Ende ganz gegen das Manga-Lesen. Das gilt auch für die Korrektoren, denn ohne jedes Mal das Original zu konsultieren, ist es unmöglich zu wissen, welche Anrede durch wen gerade korrekt ist und ob hier ein Fehler vorliegt oder nicht. Das ist schon kein ganz triviales Problem.
Drittens leben wir in einer Zeit, in der immer weniger junge Menschen zum Buch greifen. Die Zahlen sind eindeutig. Smartphones und Apps sind schon für Kinder von 6 bis 13 Jahren allgegenwärtig, nur die Hälfte interessiert sich noch für Bücher. Auch Hörbücher und Podcast stellen inzwischen eine Alternative zum klassischen Buch dar. Angesichts dessen ist es umso schöner, dass gerade die Warengruppe Manga einen wichtigen Beitrag dazu leistet, Menschen wieder für das gedruckte Buch zu begeistern. Dazu ist es aber wichtig, dass wir den Einstieg niederschwellig gestalten. Gerade Loewe hat ein immenses Know-how in Sachen Leseförderung und arbeitet eng mit Bibliotheken, Schulen und Lehrern zusammen. Da kommt viel Feedback, ich argumentiere hier also nicht aus einem Elfenbeinturm heraus, sondern aus der Praxis. Ich habe selbst eine Tochter im Schulalter und erlebe hautnah, wie schwierig für manche Kinder der Einstieg ins Lesen ist, weil zu Hause kaum oder gar keine Bücher existieren. Diesen Kindern und Jugendlichen den Zugang in die Welt der Mangas zu erleichtern, halte ich für zentral. Auch für mich selbst waren Comics der Einstieg in die Literatur, angefangen habe ich mit Clever & Smart, geführt hat es mich bis zum Germanistik-Studium.
Auch bin ich nicht der Meinung, dass dabei Feinheiten aus dem Original verloren gehen. Eine gute Übersetzung kann die Übertragung dieser Feinheiten trotzdem leisten und ich glaube, dass das meinem Team und mir in der Vergangenheit immer gut gelungen ist, auch wenn das natürlich der eine oder die andere nicht so sieht. Denn mir ist völlig klar, dass diese „Übersetzungs-Politik“, wenn du das so nennen willst, für jemanden, der sich sehr stark für die japanische Kultur begeistert und da richtig tief drinsteckt, eine Enttäuschung sein muss. Manche kommen auch erst durch einen Anime zum Manga und wenn dann dort der Umgang mit den Namen nicht so ist, wie sie sich darauf eingestellt haben, ist das natürlich sehr irritierend. Aber ich kann mich ja auch nicht zerreißen.
Ich will versuchen, das noch mal in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen: Ich werde bei Loewe sehr viel öfter Einzelfallentscheidungen treffen und derzeit denken wir darüber nach, bei einem der nächsten Titel, wenn es funktioniert, alles so originalgetreu zu lassen, wie es nur irgendwie geht. Trotzdem werden sich die Figuren in der überwiegenden Anzahl der Fälle sehr wahrscheinlich weiterhin mit Vornamen anreden. Für die allermeisten Leser und Leserinnen ist das glücklicherweise auch völlig in Ordnung.
MP: Euer Motto lautet „Musst du lesen“. Wie kam es dazu?
Patrick: Das Motto basiert auf unserem Anspruch, Bücher zu verlegen, die die Menschen auch wirklich lesen wollen. Das Motto von Loewe Wow! lautet ganz ähnlich, nämlich: „Das will ich lesen!“.
„Musst du lesen“ soll darauf hinweisen, dass unsere Titelauswahl selektiv und gut kuratiert ist und nicht einfach beliebig zusammengeklaubt. Ich suche keine Titel, um damit Programmplätze zu stopfen. Ich möchte Bücher machen, die man sich hoffentlich in der Schule, der Uni und am Arbeitsplatz gegenseitig mit den Worten empfiehlt: „Das hier musst du unbedingt mal lesen!“. Dass uns das gelingt, würde ich mir wünschen.
MP: Wie steht es um Light Novels? Ist dahingehend was für die Zukunft in Planung?
Patrick: Derzeit nicht. Genau wie alle anderen Verlage habe auch ich in der Vergangenheit immer wieder Light Novels gemacht, wenn auch nicht im großen Maßstab, aber Versuche hat es immer wieder gegeben. Inzwischen gibt es einige Anbieter, die sich explizit der Light Novel verschrieben haben, so wie Dokico, JNC Nina, Skyline Novels und Pixelite Novels, daher sehe ich momentan keine Veranlassung, hier aktiv in ein Konkurrenzverhältnis zu gehen.
MP: Was ist euer Ziel als Loewe Manga? Habt ihr gewisse fixe Ziele, wie z. B. in die Top 3 des Marktes aufzusteigen?
Patrick: Klingt banal, aber am Ende des Tages will ich schöne Bücher machen, die inhaltlich als Manga überzeugen. In der Vergangenheit ist mir das gut gelungen und natürlich wünsche ich mir, mit meinem Programm erfolgreich zu sein. Auf welchem Treppchen im Verlags-Ranking ich dabei stehe, ist dabei komplett unwichtig. Ich möchte dazu beitragen, den Mitarbeitern von Loewe die Arbeitsplätze zu sichern und den Freelancern faire Honorare zahlen können, das wäre das Ziel, würde ich sagen.
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MP: Worauf dürfen sich Fans zukünftig bei euch freuen? Plant ihr gegebenenfalls auch „experimentierfreudige“ Titel?
Patrick: Wenn „experimentierfreudig“ bedeutet, auch mal ein Risiko einzugehen, würde ich sagen: ja. Aber was der eine für einen „Liebhabertitel“ hält, das ist für den anderen immer noch viel zu sehr Mainstream, das liegt nun mal stets im Auge des Betrachters. Für die einen ist jeder neue Boys-Love-Titel einer zu viel, für andere sind spezielle Shonen-Magazine ein rotes Tuch, da steckt man letztendlich nicht drin.
Unser selbsterklärtes Ziel ist es jedenfalls, Bücher zu verlegen, die auch gelesen werden wollen, die also auf eher breite Zustimmung stoßen und nicht solche, die von vornherein keine Chance haben, ein größeres Publikum zu finden. Ich bin eher kein Vertreter des Standpunktes „Wenn das Angebot erst mal da ist, kommt die Nachfrage schon von ganz allein“. Schließt das „experimentierfreudige“ Titel aus? Ich finde nicht, aber wie gesagt, das kommt ganz auf den Standpunkt an.
MP: Möchtest du zum Abschluss noch etwas sagen?
Patrick: Vielen Dank, dass ihr uns und unserem neuen Programm bisher mit so viel Neugier und Vorfreude begegnet seid. Auch für mich ist der Start von Loewe Manga ein Neubeginn, der erste Schritt hinein in ein neues Abenteuer. So wie ihr bin auch ich sehr gespannt darauf, wohin der Weg uns noch führen wird. Haltet die Ohren steif und bleibt uns gewogen!
MP: Vielen Dank!