Interview mit Jyanome – Mangaka von „Twilight Outfocus“, „Afterimage Slow Motion“ und „Midnight Monologue“
Passend zum Start der deutschsprachigen Ausgabe von Twilight Outfocus Long Take, dem neusten Ableger aus dem Twilight Outfocus-Universum, hatten wir die Gelegenheit, ein Interview mit Mangaka Jyanome zu führen. Mit uns hat Jyanome-sensei unter anderem über ihre ersten Berührungen mit dem Boys-Love-Genre sowie über ihre Inspirationen zu der Geschichte und die Figuren aus dem Franchise gesprochen.
Wir möchten uns sowohl bei Manga Cult für die Möglichkeit als auch bei dem japanischen Verlag Kodansha, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem Mangaka Jyanome selbst. Nachfolgend werden wir uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Jyanome-sensei. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview mit uns nehmen.
Jyanome-sensei: Vielen Dank für die Interviewanfrage. Ich freue mich, dass ihr Interesse an meinen Werken habt.
MP: Können Sie uns zunächst von Ihren Anfängen erzählen? Wollten Sie schon immer Mangaka werden? Und was hat es eigentlich mit Ihrem Pseudonym „Jyanome“ auf sich?
Jyanome-sensei: Manga zu zeichnen war schon seit meiner Schulzeit ein Hobby von mir. Aber ich hatte nie das Ziel, Mangaka zu werden. Ich zeichnete nur wenige Manga, um zweimal im Jahr an der Comiket teilzunehmen. Der Wendepunkt kam, als eigene Manga-Webseiten populär wurden. Da dachte ich mir: „Das versuche ich auch mal!“ So begann ich, fast täglich Manga auf meiner Website zu veröffentlichen, und ehe ich mich versah, hatte ich schon über 100 Seiten gezeichnet. Nachdem ich reichlich Manga gezeichnet hatte, wurde ich von Fusion Product entdeckt, was zu meinem Debüt führte.
Mein Künstlername „Jyanome“ stammt von einem japanischen Kinderlied namens Amefuri, das die Zeile „Jyanome de Omukae Ureshii na“* enthält. Davon habe ich meinen Namen abgeleitet. Als ich überlegte, wie ich meine Manga-Website nennen sollte, regnete es gerade. Ich verwende den Namen der Website als mein Pseudonym.
*Anm. d. Red.: Amefuri meint in etwa „Regenwetter“. „Jyanome de Omukae Ureshii na“ bedeutet „[Meine Mama] ist gekommen, um mich mit ihrem Schlangenaugenschirm abzuholen. Ich bin so glücklich!“. „Jyanome“ wird mit „eingekreister Punkt“ beziehungsweise „Schlangenauge“ übersetzt und steht in dem besagten Kinderlied für einen Schlangenaugenschirm, einen traditionellen japanischen Ölpapierschirm mit Bullaugenmuster.
MP: Sie zeichnen wunderschöne und tiefsinnige Boys-Love-Manga. Erinnern Sie sich noch, wie Sie mit dem Genre in Berührung gekommen sind und welchen BL-Manga Sie als Erstes gelesen haben?
Jyanome-sensei: Vielen Dank. Ich bin als Kind in Shoujo-Manga darauf gestoßen. In den Werken von Keiko Takemiya-sensei, Moto Hagio-sensei und vielen anderen Shoujo-Manga gab es Darstellungen von BL, die ich irgendwie hingenommen hatte. Erst eine Anthologie zu Captain Tsubasa, die mir eine Klassenkameradin geliehen hatte, als ich 14 Jahre alt war, machte es mir deutlich. Das war ein Schock für mich, denn plötzlich verstand ich, was das Herzklopfen zwischen Jungs, das ich bis dahin gesehen hatte, bedeutete. (lacht) Daher war mein erster BL-Manga ein Fanwork zu Captain Tsubasa.
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MP: Haben Sie künstlerische Vorbilder, die Sie besonders respektieren oder einen starken Eindruck auf Sie hinterlassen haben?
Jyanome-sensei: In meinem Leben haben mir unzählige Manga Mut gemacht, sodass die Liste kein Ende hätte … Ich bin mir bewusst, dass meine Zeichnungen stark von Yumi Tada-sensei und Hirohiko Araki-sensei beeinflusst sind. Außerdem hat mich Kaori Tsurutani-sensei, mit der ich zusammengearbeitet habe, in letzter Zeit am meisten geprägt. Weitere Mangaka, die ich schätze, sind Taiyo Matsumoto-sensei, Atsushi Kaneko-sensei, Kari Sumako-sensei, Maki Kusumoto-sensei … die Liste ist endlos. (lacht) Es gibt so viele Mangaka, die ich respektiere.
MP: Kommen wir zu Ihrer beliebten Reihe Twilight Outfocus. Die Reihe dreht sich hauptsächlich um einen Filmclub. Wie sind Sie auf dieses Setting gekommen? Interessieren Sie sich vielleicht besonders für Filme?
Jyanome-sensei: Ich wollte schon immer etwas über Clubaktivitäten zeichnen. Es sollte kein Sportclub sein, sondern etwas Kulturelles. Letztendlich war ich zwischen einem Mangaclub und einem Filmclub hin- und hergerissen, entschied mich dann aber für den eher ungewöhnlichen Filmclub. Obwohl ich mich nicht als Filmliebhaberin bezeichnen würde, mag ich Filme sehr. Der deutsche Filmregisseur Wim Wenders ist einer meiner Lieblingsregisseure.
MP: In Ihren Werken geht es um eine reine Liebe zwischen Schülern, die sich im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt. Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen für das Twilight Outfocus-Universum?
Jyanome-sensei: Die Inspirationsquellen unterscheiden sich von Zeit zu Zeit, aber ich denke, dass meine eigenen Erfahrungen als Schülerin mehr oder weniger mit einfließen. Vor allem für den Schulalltag haben mir meine Erinnerungen und Erfahrungen sehr geholfen. Während meiner Schulzeit war ich Mitglied im Kendoclub, wo das Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Schülern sehr streng war. Diese Erfahrungen haben mich bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen den Filmclubmitgliedern vom ersten bis zum dritten Jahr* inspiriert. Außerdem habe ich eine Zeit lang in einem Boardinghouse gelebt, was mir bei der Darstellung des Lebens im Wohnheim geholfen hat. Was die Liebesgeschichte betrifft, habe ich das Gefühl, dass die Manga, Filme und Musik, die mich liebevoll begleitet haben, mit der Welt von Twilight Outfocus verbunden sind.
*Anm. d. Red.: Entspricht der zehnten bis zwölften Klasse in Deutschland.
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MP: Während Mao und Hisashi einen eher in sich gekehrten Charakter haben, sind Jin und Ichikawa sehr exzentrisch und extrovertiert. Wie sind Sie bei der Ausarbeitung der Charaktere vorgegangen? Gab es bestimmte Vorbilder oder Merkmale, die sie einbauen wollten?
Jyanome-sensei: Das Erste, was ich bei jeder Geschichte erschaffe, sind die Figuren. Zuerst habe ich Mao und Hisashi zur gleichen Zeit entworfen. Danach habe ich die Freunde, die sie umgeben (wie Ichikawa, die Kagari-Brüder usw.) entworfen. Mit der Entwicklung der Figuren wurde die Atmosphäre im Filmclub und das Leben der beiden im Wohnheim immer klarer. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass die Figuren die Geschichte erschaffen.
Was Vorbilder betrifft, kann ich ganz klar sagen, dass es sie nicht gibt. Manchmal werde ich gefragt, ob diese oder jene Figur (oder eine reale Person) das Vorbild sei, oder darauf angesprochen, dass die Figur XY ähnelt. Aber all diese Vermutungen überraschen mich selbst immer wieder, da es sich stets um Personen handelt, an die ich nie gedacht hätte. (lacht) Meine Figuren haben niemals Vorbilder. Denn wenn ich Figuren mit Vorbildern im Kopf erschaffen würde, hätte ich wahrscheinlich nur Probleme damit, dass sie dem Vorbild nicht gerecht werden und dass ich sie nicht vielschichtig genug gestalten und daher schwerlich bewegen könnte. Deshalb gestalte ich meine Protagonisten immer aus mir selbst heraus. Im Gegensatz dazu kann es allerdings vorkommen, dass Lehrer und andere Nebenfiguren, deren Innenleben nur schwierig zu erfassen ist, Vorbilder haben. Es könnte vielleicht Spaß machen, wenn ihr euch beim Lesen vorstellt, wer es sein könnte.
MP: Die erotischen Szenen wirken sehr leidenschaftlich. Gibt es etwas, worauf Sie beim Zeichnen besonders achten?
Jyanome-sensei: Das freut mich. Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf (lacht), aber die Darstellung von Genitalien ist nach den Vorgaben des Verlags tabu. Darüber hinaus sind auch keine gewalthaltigen Ausdrücke und keine extrem erotischen Spiele gewünscht …? Die Liebesszenen entstehen durch ein Trial-and-Error-Verfahren, um diese Hürden zu überwinden und trotzdem leidenschaftlich auszusehen. Besonders wichtig ist mir die Komposition. Ich habe das Gefühl, die Kamera nach Belieben steuern zu können, von Winkeln, bei denen die Leser:innen das Gefühl haben, heimlich zuzuschauen, bis hin zu Kompositionen, bei denen die Blicke der Figuren plötzlich mit denen der Lesenden zusammentreffen. Es macht großen Spaß, die Erotik zu zeichnen. (lacht)
Es gibt unendlich viele verschiedene Arten von erotischen Darstellungen und sie variieren von Mangaka zu Mangaka. Ich möchte die Berührungen zwischen zwei Menschen, die sich lieben, zeichnen, was einer Erweiterung der Darstellungen in Shoujo-Manga entspricht.
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MP: Einen Film zu schaffen und darin aufzugehen, wie beispielsweise die Figuren aus dem Filmclub, ist ein kreativer Schaffensprozess. Sehen Sie im Handeln der Figuren Analogien zu ihrer eigenen Arbeit als Mangaka?
Jyanome-sensei: In einem früheren Interview wurde mir diese Frage auch gestellt. Ich kann die schöpferischen Emotionen von Giichi Ichikawa nur zu gut nachempfinden. Obwohl ich versuche, Distanz zu meinen Figuren zu wahren, habe ich das Gefühl, dass Giichi zu einer Art Freund für mich geworden ist.
Giichi ist als Autor voller Schwächen. (lacht) Er prahlt gerne, neigt aber auch dazu, zu trödeln und wegzulaufen, und manchmal erhebt er die Stimme gegenüber seinen Freunden. Er weint, entschuldigt sich, nähert sich Hisashi einschmeichelnd … Er ist einfach voller Unzulänglichkeiten. (lacht) Aber er ist offenherzig und unverfälscht, wenn es um seine Ideale geht. Deshalb folgen ihm seine Kameraden. Außerdem respektiere ich seine aufrichtige Einstellung, etwas Gutes schaffen zu wollen.
MP: In Twilight Outfocus Long Take erzählen Sie die Geschichte von Mao und Hisashi weiter. In einer starken Szene in Band 01 geigt Ichikawa dem von Selbstzweifeln zerfressenen Hisashi, der seine Gefühle nicht in Worte fassen kann, seine Meinung. Wieso haben Sie diese Szene eingebaut?
Jyanome-sensei: Das ist das erste Mal, dass ich nach dieser Szene gefragt werde. Nun … Zunächst einmal haben sich Hisashi und Giichi angenähert. Deshalb sprach Giichi aus, was er wirklich fühlte, und Hisashi hat ihm zugehört. Er hätte wohl nicht damit gerechnet, dass ihm so etwas gesagt wird. (lacht) Hisashi ist aus Freundlichkeit heraus bei vielen Dingen ängstlich, aber Giichi zufolge ist das keine Freundlichkeit. Vielmehr sei das ein Verhalten, das andere verletzt. Das ist eine typische Sichtweise von Giichi, der den schöpferischen Prozess als Schlachtfeld betrachtet. Mao hingegen vertritt eine ganz andere Auffassung. Er glaubt, dass es in Ordnung ist, wegzulaufen, wenn man sich unwohl fühlt, und dass es immer wieder neue Chancen geben wird.
Mao und Giichi haben unterschiedliche Ansichten als Schöpfer, oft streiten sie wegen ihrer Meinungsverschiedenheiten. Für Hisashi ist der sanftmütige Mao leichter zu verstehen und er hilft ihm, seine Gedanken zu ordnen, um sich wieder neu aufzurappeln … Mao ist sozusagen ein Ruhepol für Hisashi.
MP: Twilight Outfocus wird als Anime umgesetzt, herzlichen Glückwunsch! Wir freuen uns schon sehr auf die Ausstrahlung. Gibt es etwas wie eine Szene oder ein Element, auf das sie sich besonders in animierter Form freuen? Wenn ja, warum?
Jyanome-sensei: Vielen Dank! Ich bin überrascht, dass mein Werk tatsächlich animiert wird. Ich hoffe, dass es auch alle in Deutschland sehen können … Nun, neben den Farben, der Musik und den Stimmen, die es im Manga nicht gibt, ist auch das Leben in der Schule und im Wohnheim, auf das das Produktionsteam sehr viel Wert gelegt hat, ein Highlight. Freut euch auf die wunderschönen gegenseitigen Blicke, die einem Herzklopfen bereiten. Auch die Performance der Synchronsprecher ist großartig … die Liste ist endlos. (lacht) Normalerweise fertige ich meine Manga allein an (genau genommen mit meiner Familie, also eigentlich zu zweit), daher arbeite ich nicht oft im Team an etwas. Als ich bei der Produktion des Anime dabei sein durfte, konnte ich die Leidenschaft des Regisseurs und der anderen beteiligten Teammitglieder spüren. Es ist wirklich faszinierend, wie viele Menschen an der Entstehung eines Werks beteiligt sind … Das war wie ein Filmclub und hat mich sehr beeindruckt. Es ist ein Werk voller Enthusiasmus, also freut euch bitte darauf.
MP: Möchten Sie zum Abschluss noch ein paar Worte an Ihre deutschsprachigen Fans richten?
Jyanome-sensei: Hallo liebe Fans in Deutschland, mein Name ist Jyanome. Durch das Internet spüre ich schon lange eure Unterstützung. Ich wollte schon immer einmal richtig zum Ausdruck bringen, wie glücklich ich darüber bin. Es ist mir eine große Ehre, dass ich die Gelegenheit habe, dies zu tun. Sogar im fernen Deutschland gibt es BL-Liebhaber, und sie lesen meinen Manga … Ich könnte nicht glücklicher sein. Ich danke euch für alles, ihr gebt mir die Kraft zu zeichnen. Deutschland ist eines der wichtigsten Länder für mich, sei es wegen des Straßenradrennens, der Filme oder der Musik … Auch wenn ich weit weg in Japan bin, sind meine Gedanken oft bei euch. Wir sehen uns im Manga wieder. Bitte unterstützt mich auch weiterhin.
MP: Vielen Dank für das Interview, Jyanome-sensei. Wir freuen uns schon auf die angekündigte Fortsetzung zu Afterimage Slow Motion und sind gespannt, wie es weitergeht.
Jyanome-sensei: Vielen Dank! Ich hoffe, dass auch die Leser:innen in Deutschland diese Fortsetzung genießen können. Jin und Giichi sorgen bereits für eine ausgelassene Komödie. (lacht) Ich hoffe, ihr freut euch darauf.