Besprechung zu „Briefe aus Taipeh“
Hierzulande ist jüngst die Graphic Novel Briefe aus Taipeh auf den Markt gekommen. Wir haben uns den Release etwas genauer angeschaut.
Verlag Chinabooks hat den Einzelband in einer zweisprachigen Fassung herausgegeben: Während die erste Hälfte der insgesamt rund 350 Seiten von Johannes Fiederling ins Deutsche übersetzt wurde, entspricht die andere Hälfte dem chinesischsprachigen Original. Inhaltlich sind beide Teile identisch. Für die übergroße Klappenbroschur im Format 29,7 × 21,2 cm sowie die merklich höherwertige Papierqualität werden 29,00 € fällig. Farbseiten oder andere etwaige Extras sind, ebenso wie eine E-Book-Ausgabe, nicht zu erwarten.
Interessierte können das Werk sowie alle weiteren Veröffentlichungen des Schweizer Publishers entweder direkt über verlagseigenen Webshop, durch verschiedene Online-Anbieter wie Amazon und Thalia oder auf Nachfrage im Handel vor Ort beziehen. Für Letzteres empfiehlt es sich gegebenenfalls, die ISBN 978-3038870203 bereitzuhalten.
Inhaltsbeschreibung
China, Ende der 1940er Jahre.
Als Soldaten in dem Dorf, in dem die Familie Shen lebt, auftauchen, um den Kommunismus einzuführen, weigern sich die beiden Brüder Shen Erchong und Shen Erya, den neuen Herren zu dienen. Als Reaktionäre und Verräter abgestempelt, werden sie verhaftet, eingesperrt und ihres spärlichen Besitzes beraubt. Ausgestoßen und an Leib und Leben bedroht, bleibt ihnen nur noch eine Wahl: Unterwerfung oder Exil.
Shen Erchong flüchtet nach Taiwan, während Shen Erya in der Heimat bleibt und riskiert, als Paria zu enden und einem endlosen Kreislauf aus Verfolgungen ausgesetzt zu sein. Was wird aus ihrer auseinandergerissenen Familie werden? Wird es je zu einem Wiedersehen zwischen den beiden Brüdern kommen? (© Chinabooks Wu & Wolf GmbH)
Visualisierung
Sowohl die Geschichte als auch die Illustrationen stammen von Fish Wu. Die Bebilderung zeichnet sich insbesondere durch ihre feine Linienführung aus, mit vielen kleinen Strichen sind ganze Szenarien, die sich mitunter über eine gesamte Doppelseite erstrecken, geschaffen. Verschiedene Grauabstufungen verleihen Tiefeneffekte beziehungsweise ein Gefühl von Räumlich- und Lebendigkeit. Auch die Hintergrundgestaltung entzückt durch ihre außerordentliche Detailverliebtheit.
Stilistisch bewegt sich die Arbeit zwischen Radierungen und Fotorealismus. Durch das erklärte Format, das in seinen Abmessungen DIN A4 entspricht, werden die zahlreichen Feinheiten effektiv hervorgehoben, geradezu kuratiert. Die Aufmachung lädt darüber hinaus dazu ein, einen Moment länger zu verweilen und den gesamten Aufbau der Optik genauer zu untersuchen.
3 Bilder
Im Handel ist das Buch, sofern überhaupt auf Vorrat, zum Schutz vor Beschädigungen eingeschweißt. Damit ist es in der Regel nicht möglich, vor dem Kauf reinzublättern. An dieser Stelle können allerdings – zusätzlich zu den Innenseiten oben – sowohl der Prolog als auch die ersten paar Seiten aus dem Anfangskapitel Trennung eingesehen werden.
Fazit
Hinter der recht unscheinbaren Fassade von Briefe aus Taipeh verbirgt sich erstaunlicher Tiefsinn. Autor und Zeichner Fish Wu berichtet in seinem autobiografisch angelegten Werk von seiner eigenen Familiengeschichte, die bis zur Generation seines Urgroßvaters Shen Erya zurückreicht. Dabei werden die aufständischen Bewegungen im China der Vierzigerjahre geschildert – wenige Jahrzehnte nach Absetzung der Qing-Dynastie findet der Kommunismus Einzug.
Zentral steht der Schrecken einer Ideologie im Mittelpunkt. Vermittelt am Beispiel der beiden Shen-Brüder und ihrer Nachkommen, wird aufgezeigt, was Fanatismus bedeutet – und dass die von ihm ausgehende Gefahr auch noch im 21. Jahrhundert omnipräsent ist. Der Einzelband basiert auf einem Zeugnis der älteren, inzwischen längst verstorbenen Jahrgänge und versteht sich als Mahnung an die Jugend.
Insofern ist Briefe aus Taipeh eine hochpolitische Veröffentlichung, bei der es nicht verwundert, dass der Künstler in Seoul, in Südkorea, lebt und das Buch in Taiwan, nicht aber in der Volksrepublik, verlegt wurde. Zeichnerisch ist das Ganze speziell, jedoch im besonderen Sinne. Es gelingt, die desperate Atmosphäre und die dadurch mitschwingenden Emotionen auf die Leserschaft zu übertragen – ohne die Schilderungen überdramatisiert erscheinen zu lassen.
© 2020 Fish Wu (一匹魚) / Slowork publishing Co Ltd
Einzig der Preis von 29,00 € versetzt der Begeisterung einen Dämpfer. Mit Blick auf die gebotene Produktionsqualität, die sowohl die Klappenbroschur im DIN-A4-Überformat als auch das reinweiße Papier einschließt, mag der Titel – vor allem für einen Kleinverlag – durchaus fair eingepreist seien, allerdings dürften viele Fans keinen Nutzen aus der zweisprachigen Aufmachung ziehen. In diesem Sinne stellt sich unweigerlich die Frage nach der potenziellen Ersparnis für den Fall einer regulären Übersetzung mit Verzicht auf die chinesische Originalfassung.
Unserer Einschätzung nach eignet sich Briefe aus Taipeh primär für den Bibliotheksbestand, wo sich der höhere Verkaufspreis durch die Anzahl an (potenziellen) Leser ausbalanciert, sowie für Liebhaber, die Publikationen aus diesem Bereich oder die Arbeit von Herausgeber Chinabooks im Allgemeinen unterstützen möchten.
Für das unverbindliche Bereitstellen eines Belegexemplars bedanken wir uns herzlich bei Chinabooks.