Interview mit altraverse: Corona, Marktentwicklung und Zukunftspläne
Passend zur aktuellen Zeit und dem baldigen dritten Geburtstag von altraverse haben wir es uns nicht nehmen lassen, ein Interview mit Verleger Joachim Kaps zu führen, indem er unter anderem über Corona, die Entwicklung des Manga-Marktes und die Zukunftspläne von altraverse redet.
Nachfolgend werden wir uns mit MP und Joachim mit Jo abkürzen. Wir wünschen euch viel Spaß mit dem Interview.
MP: Moin Jo und vielen Dank, dass du dir für das kleine Interview mit uns Zeit nimmst.
Jo: Ich habe zu danken! Ich finde prima, was ihr mit Manga Passion angestoßen habt, dafür nehm ich mir gerne Zeit.
MP: In letzter Zeit war Corona ein großes Thema. Wie ist altraverse damit umgegangen und in wie weit sind die Nachwirkungen noch spürbar?
Jo: Wir glauben, dass in jeder Krise auch eine Chance liegen kann. Daher haben wir uns seit dem Ausfall der Leipziger Buchmesse als Team mit ganzer Kraft gegen die Probleme gestemmt, die das Virus ausgelöst hat. Dadurch gibt es inzwischen unseren Livestream #altralive, unsere Online-Lesungen und eine Reihe weiterer Ideen, die in der Zeit entstanden sind.
Um dem Handel zu helfen, haben wir den Shops über drei Monate hinweg höhere Rabatte eingeräumt und für den Herbst unser Marketingbudget deutlich erhöht, was vor allem den Verkaufsstellen zugutekommen soll, denen eine ganze Reihe verkaufsfördernder Tools an die Hand gegeben wird.
Und wir haben gelernt, dass wir auch dann ein gutes Team bleiben, wenn viele von uns sich vorwiegend per Video-Call sehen, das hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Natürlich hat uns die Krise auch eine Menge Geld gekostet, aber wir schauen lieber nach vorn als nach hinten.
MP: altraverse ist inzwischen fast drei Jahre alt. Welche Ziele, die ihr euch am Anfang vorgenommen habt, konntet ihr innerhalb dieser Zeit erreichen und wie zufrieden seid ihr mit der Entwicklung?
Jo: Wir sind mit der Entwicklung unseres Buchkatalogs sehr zufrieden. Mit Meine Wiedergeburt als Schleim …, Goblin Slayer!, Fullmetal Alchemist, Made in Abyss, Die Legende von Azfareo, Arifureta, Kakegurui, In these words, Killing Stalking, Solo Leveling und vielen weiteren Top-Lizenzen haben wir in sehr kurzer Zeit ein sehr starkes Fundament für den weiteren Weg aufgebaut.
Laut Media Control erreichen wir mit rund 5 % der auf dem Markt verfügbaren Titel aktuell 10 % Marktanteil, das ist ein ziemlich guter Schnitt. Manga Cult und altraverse sind zudem die beiden einzigen Verlage, die im Corona-Jahr sichtbare Zuwächse erwirtschaftet haben, das macht Mut für die Zukunft.
Extrem glücklich sind wir auch über die großartigen deutschen Zeichner, die bei uns an Bord gegangen sind. Anike Hage, Horrorkissen, Sozan Coskun, Ban und Gin Zarbo und Racami sind eine unglaubliche Bereicherung für unser Programm. Ich bin von der Qualität ihrer Projekte sehr überzeugt und freue mich auch über die guten Verkaufszahlen.
Jetzt stehen die nächsten Schritte an: Der Ausbau des Merch und der Einstieg in den digitalen Bereich. Hier liegen wir aber aktuell noch gut im Plan und die ersten Reaktionen auf die Fanartikel zu Azfareo und #plüschmond waren ermutigend. In Kürze stoßen noch zwei neue Kolleginnen zum Team hinzu, damit wir all das auch umsetzen können.
MP: Mit beispielsweise Merch zu eurer Reihe Azfareo oder euren Beilagen wie beispielsweise die Acryl-Chibis, eure Boxen und exklusive Autorengrüße geht ihr sehr viel auf die Wünsche und Bedürfnisse eurer Käuferschaft ein. Könnt bzw. wollt ihr das in Zukunft noch toppen? Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen?
Jo: Die Idee lag für uns nahe, weil wir im Team sehr viele Leute haben, die selbst Fans von Manga, Anime, Games oder Comics sind und an besonderen Ausgaben Freude haben. Wir setzen die Verpackungen und Extras um, die uns selbst begeistern würden. Und wir haben offenbar das Glück, dass viele Leser unseren Geschmack teilen. Das spornt uns zu neuen Experimenten an.
Ich glaube aber schon, dass wir das noch toppen können, wenn wir nicht einfach das reproduzieren, was wir oder andere eh schon gemacht haben, sondern immer wieder nach neuen Ideen suchen. Das nächste Highlight wird hier die Collector’s Edition von Das Geheimnis von Scarecrow mit Variant Cover und fünf schicken Extras in einer besonderen Verpackung. Lasst euch überraschen.
MP: Welchen Manga eures Programms würdest du Neueinsteigern in die Manga-Welt ans Herz legen? Und welcher ist dein persönlicher „Hidden Gem“?
Jo: Für Neueinsteiger eignen sich in meinen Augen Serien wie Demon Tune, Die Legende von Azfareo, Eislicht, #plüschmond oder Ich habe 300 Jahre Schleim getötet …, der im August startet. Jede dieser Serien ist eine kleine Perle, weil sie einerseits auch für Manga-Neulinge in sehr lesbarer Form erzählt sind, dabei aber gleichzeitig inhaltlich neue und moderne Wege gehen. Meine Hidden Gems sind derzeit Nicht schon wieder, Takagi-san! und Lust auf ein Date. Das sind beides Serien mit ganz großartigen ProtagonistInnen, denen ich gerne mal begegnen würde. ?
MP: Du hast nun bereits mehrjährige Erfahrung in der Branche sammeln dürfen: Wie hat sich der Manga-Markt über die letzten Jahre entwickelt und wo siehst du dessen Zukunft?
Jo: Der Manga-Markt ist in all der Zeit bis auf eine kleine Delle vor rund 15 Jahren immer nur gewachsen. Das ist schön. Er könnte heute trotzdem deutlich größer sein. Das ist nicht so schön.
Das Titelangebot ist in den letzten 25 Jahren im deutschen Markt immer schneller gestiegen als der Einsatz der meisten Verlage in zentralen Fragen von Marketing und Vertrieb. Ich will niemandem zu nahetreten, aber es gab immer mehr „Copy Cats“ als wirkliche Impulsgeber im Markt. Das hat vor allem strukturelle Gründe, weil nur die wenigsten Anbieter in erster Linie von Manga leben und ihre finanziellen und personellen Mittel daher eher in andere Felder lenken.
So hat sich das Publikum inzwischen zwar enorm vergrößert, aber die Verkaufsflächen im Handel tragen dem immer nur mit starker Verzögerung Rechnung. Und das Angebot bei den großen Ketten war und ist problematisch, weil hier ein Konzernverlag seit vielen Jahren massiv Einfluss nicht nur auf die Platzierung seiner Titel, sondern auch auf die seiner Mitbewerber nimmt.
Ich glaube aber auch, dass mehr Wettbewerb und das sich verändernde Einkaufsverhalten der Leser langfristig solche verkrusteten Strukturen aufbrechen werden. Thalia & Co. brauchen eigentlich für die Zukunft eigene Manga-Kompetenz, wie Comicshops und kleinere Buchhandlungen sie längst haben. Dann ist im Markt auch mehr Dynamik möglich.
MP: Rückwirkend betrachtet: Bereust du eine Entscheidung in deinem Werdegang oder würdest du heute wieder alles genauso machen?
Jo: Ich schaue an sich lieber nach vorn als zurück. Ich war eigentlich mit allem Stationen und Schritten – inklusiver einiger Niederlagen, aus denen man ja auch immer lernen kann – sehr glücklich. Zugleich bin ich heute zufriedener als je zuvor in meinem beruflichen Leben, was ich vor allem meinen großartigen Kollegen und unseren KünstlerInnen verdanke. Jede und jeder von ihnen machen mein Leben reicher und meinen Alltag bunter.
MP: Was war „das Erlebnis“ deiner Karriere in der Manga-Branche?
Jo: Trotz einer Fülle von Momenten, die mich sehr berührt haben, war der schönste Moment vielleicht der Tag, an dem Ban Zarbo mit Kamo erstmals an der Spitze der deutschen Manga-Charts stand. Ich habe seit den frühen Tagen der lokalen Produktion von Manga mit Robert Labs und Christina Plaka immer fest daran geglaubt, dass auch Mangaka aus unserem Raum es irgendwann schaffen können. Und dann war es so weit. Das hat mir viel bedeutet.
MP: Welche Titel, die heute teilweise eure Bestseller sind, denkst du, hätten so vor zwei Jahren bei Verlagsstart nie funktioniert?
Jo: Wenn ich ehrlich bin, dann vor allem die Webtoons. Ich habe seit 2004 ja immer wieder mal Anläufe mit koreanischen Künstlern angestoßen und das war lange ein recht dorniger Weg- Dass Killing Stalking jetzt in so kurzer Zeit die fünfte Auflage erreicht, hat mich positiv überrascht.
MP: Welche Genres würdest du am erfolgreichsten am Markt betiteln und welche hingegen werden total unterschätzt?
Jo: Ich weiß nicht, ob sie unterschätzt werden, aber bei Girls Love und Comedy müsste eigentlich deutlich mehr drin sein. Da gibt es eine Reihe wirklich schöner Titel, die sich einfach nicht durchsetzen. Erfolgreich sind eigentlich immer noch vor allem die Genres, die immer stark waren: Action und Fantasy, heute natürlich mit deutlich mehr Abstufungen und Überschneidungen als früher.
MP: Immer wieder hört man teilweise Wünsche nach mehr Light Novel-Titeln in Deutschland. Magst du vielleicht darauf etwas eingehen und erklären, warum reine Light Novel-Titel oder Light Novels an sich eher eine Nische sind bzw. auch schlichtweg weniger rentabel sind als Manga, aber ihr dennoch zu dem Großteil eurer Titel die dazugehörige Light Novel herausbringt?
Jo: Ich glaube nicht, dass Light Novels eine Nische sind. Langfristig können auch sie unter bestimmten Bedingungen gute Stückzahlen verkaufen, das haben die Light Novels zu Death Note, SAO und Your Name. bewiesen. Es ist bislang aber einfach noch nicht gelungen, das Potenzial in der Breite auszuschöpfen, unter anderem weil die hohen Kosten in der Entstehung es deutlich schwieriger machen, entsprechend aufwändige Marketingkampagnen neben die Produkte zu stellen.
Aber ich habe auch nicht vergessen, dass in Deutschland auch Manga und koreanische Comics jeweils um die zehn Jahre gebraucht haben, um sich durchzusetzen. Und ich glaube eben, dass man die Welt mit Beharrlichkeit verändern kann, wenn man will. Deswegen machen wir Light Novels.
MP: Was für viele vielleicht auch interessant ist: Wie entscheidet ihr, zu welchem Preis ihr einen Manga in den Handel gebt?
Jo: Mit dem Taschenrechner und einem im Schnitt ganz guten Bauchgefühl für Potenziale von Stoffen. ? altraverse ist in seiner wirtschaftlichen Planung ein sehr konservativer Verlag. Wir schauen uns die Druckkosten, Investments in Lizenzen und Marketing und die erwarteten ersten Auflagenhöhen (inklusive realistischer Nachdruckmengen) an und sehen dann zu, dass sich das rechnet. Bei Manga ist aber am Ende vieles stark standardisiert, was den Prozess erleichtert, wenn man das schon so lange macht.
MP: Aktuell habt ihr immer wieder euren altra-Livestream. Plant ihr dies auch aktiv fortzuführen, wenn Corona vorbei ist?
Jo: Eindeutig ja. Es gibt einen festen Kern aus Redaktion und Marketing, der #altralive macht und wir haben alle viel Spaß an dem Format.
MP: Mit Webtoons/koreanische Manhwa habt ihr euch in ein hierzulande eher unberührtes Gebiet gewagt. Wie zufrieden seid ihr mit den bisherigen Verkäufen eurer Titel und wie ist das Feedback dazu? Könntet ihr euch in Zukunft noch mehr Titel vorstellen, vielleicht auch Manhua aus China? Etwas Erfahrung hast du in dem Bereich ja noch von TOKYOPOP, inwiefern ist das bei Einschätzungen und solchen Titeln hilfreich?
Jo: Wir sind extrem zufrieden mit den Zahlen und wollen das ausbauen. Erfahrungen von damals lassen sich allerdings nicht übertragen, weil Webtoons den koreanischen Manhwa komplett neu erfunden haben. Aber das macht heute auch seine Stärke für die internationale Vermarktung aus. Wir würden aber alles machen, was wir spannend finden, ganz egal, woher ein Autor kommt. Ich hoffe sehr, dass sich vielleicht noch eine afrikanische Szene stärker herausbildet, so lange ich noch aktiv bin, weil sie ganz sicher viele spannende Impulse für die Manga-Welt geben könnte. Bei Literatur und Film gibt es das ja schon. Mal schauen, ob ich das bei Manga noch erlebe. ?
MP: Zum Abschluss: Was habt ihr euch für die Zukunft oder 2021 vorgenommen? Worauf darf man sich noch freuen?
Jo: Wie oben erwähnt stehen Auf- und Ausbau bei Merchandise und Digital weit vorne. Und im März starten wir ein weiteres großes Buchprojekt, dass uns über die nächsten vier bis fünf Jahre beschäftigen wird, auf das ich mich sehr freue. Es ist aber nicht Jojo’s Bizarre Adventures, dafür bräuchte man noch länger. ?
MP: Vielen Dank für deine Zeit und das ausführliche Interview!
Und noch ein kleines Entweder-oder!
MP: Schleim oder Goblin Slayer?
Jo: Ich hoffe noch auf das große Cross-Over, damit ich mich nicht entscheiden muss. ?
MP: Das Herz einer Hexe oder Yuna?
Jo: Im Moment eindeutig Yuna, weil ich diese bezaubernden Zeichnungen sehr liebe.
MP: Killing Stalking oder Solo Leveling?
Jo: Killing Stalking, weil Koogi mich als Autorin enorm beeindruckt.
MP: Pizza oder Ramen?
Jo: Ich fürchte, man sieht mir jetzt im Alter doch die Pizza an.
MP: Kalte oder warme Dusche?
Jo: Erst warm, dann kalt.
MP: Fahrrad oder Bahn?
Jo: Fahrrad, gar keine Frage.
MP: Manga oder Light Novel?
Jo: Manga, ich bin einfach ein Bilderfan.
MP: Plüschmond oder Plüschkissen?
Jo: Plüschmond zum Lesen, Plüschkissen zum Schlafen. ?