Interview mit Carlsen Manga: Corona und der Stand von Shounen in Deutschland
Nach altraverse und Egmont Manga haben wir uns nun auch Programmleiter Kai-Steffen Schwarz geschnappt und mit ihm über Corona, Bestseller und einige weitere interessante Themen geredet! Wir wünschen euch viel Spaß mit dem ausführlichen Interview. Nachfolgend werden wir uns mit MP und Kai-Steffen mit Kai abkürzen.
MP: Moin, Kai und vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview mit uns nimmst. Magst du dich und deine Aufgabe vielleicht für alle, die dich nicht kennen, kurz vorstellen?
Kai: Hallo, gerne: Kai-Steffen Schwarz der Name. ? Als Programmleiter Manga verantworte ich im Carlsen Verlag die japanischen Comics, d. h. bin inhaltlich für Titelauswahl und Programmpflege dieses Bereichs verantwortlich und leite die Manga-Redaktion – mit den drei Redakteurinnen Anne Berling, Britta Hellwig und Petra Lohmann, dem Redakteur Philipp Nakata und unserer Orga-Assistentin Eileen Lohf. Die Fülle meiner Aufgaben erklärt sich daraus quasi von selbst, sowohl extern – wie z.B. Lizenzverhandlungen und Kontaktpflege mit unseren Partnern in Japan – als auch intern (Mitarbeiter*innen-Gespräche, organisatorische Dinge usw.). Nahezu alle Themen werden bei uns – nachdem sie redaktionell geklärt sind – verlagsübergreifend im Team besprochen und abgestimmt, d. h. zusammen mit unseren jeweiligen „Manga-Spezialisten“ in den anderen Abteilungen wie Herstellung, Marketing, Vertrieb, Presse usw. und, wo nötig, mit unserer Geschäftsleitung.
MP: In den letzten Monaten hattet ihr und auch alle eurer Kollegen mit Corona und dessen Auswirkungen zu kämpfen. Wie seid ihr dagegen vorgegangen und in wie weit betrifft euch das Thema noch heute?
Kai: Mitte März, also kurz vor dem „Shutdown“, sind fast alle Verlagsmitarbeiter von heute auf morgen ins Home-Office gewechselt, wir hatten zum Glück in den Monaten davor gerade eine anstrengende IT-Umstellung hinter uns gebracht. Zunächst mussten wir uns – wie viele andere Firmen auch – an viele Videokonferenzen anstelle „echter Meetings“ gewöhnen. Arbeitstechnisch war es eine Art „Orga-Achterbahn“, da anfangs z. B. völlig unklar war, welche Händler überhaupt unsere Bücher verkaufen dürfen, welche unsere Neuheiten haben möchten oder erst mal komplett schließen müssen, auch unsere Auslieferung musste sich stark umorganisieren. Glücklicherweise war nach einigen Tagen klar, dass in Deutschland zumindest auch viele stationäre Händler weiter Ware beziehen und – z. T. sehr kreativ – verkaufen durften, über Abhol- und lokalen Lieferservice, Postversand und dergleichen. Gerade die kleineren, unabhängigen Läden haben hier einen irren Einsatz hingelegt, um wenigstens einen Bruchteil der Umsätze zu retten – Hut ab! Wir haben versucht, das z. B. mit einem Buchhandlungsfinder auf unserer Website zu unterstützen. In härter betroffenen Ländern mit anderen Maßnahmen, wie z. B. bei unseren Nachbarn in Frankreich, war so was ja gar nicht möglich – da durfte kaum jemand vor die Tür. An dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an alle Manga-Fans, die mit ihren Käufen die gesamte Branche treu unterstützt haben, sowohl während der „Shutdown-Wochen“, wie auch danach!
Als Gesamtverlag sind wir ja in verschiedenen inhaltlichen Feldern (Kinder- & Jugendbücher, Comics, Manga, Humor/Cartoon) und Verkaufskanälen unterwegs – Flexibilität, Ruhe bewahren und „Mut zum Durchwurschteln“ waren gleichzeitig gefragt, wir sind wohl vergleichsweise glimpflich davongekommen. In der Manga-Redaktion mussten wir z. B. konkret damit umgehen, dass sich unsere externen Lieferketten (etwa Verträge, Material und Daten aus Fernost) stark verlangsamt haben, weil auch unsere Geschäftspartner im Ausland z. T. in den Lockdown gehen mussten. Eine größere „Neuheiten-Verschiebe-Welle“ konnten wir bisher abwenden. Manche Dinge, die man noch vor der Krise binnen Minuten durch ein kurzes Gespräch im Büro hatte klären können, dauerten in den Shutdown-Wochen natürlich länger. Inzwischen arbeiten wir verstärkt wieder im Verlag, aber auch heute spüren wir die Folgen noch – Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen müssen z. B. weiter beachtet werden. Viele unserer Mitarbeiter*innen haben auch Kinder, die nicht oder zuletzt nur kaum in Kitas und Schulen beaufsichtigt werden konnten. Hoffen wir, dass sich die Lage im Lande weiter bessert und kein weiterer großer Shutdown nötig sein wird.
MP: Teilweise gibt es immer wieder Leute, die mehr Light Novels in Deutschland möchten. Ihr seid ein sehr großer Verlag und doch publiziert ihr vergleichsweise nur sehr wenig Light Novels. Welchen Hintergrund hat das?
NARUTO SHINDEN © 2015 by Masashi Kishimoto, Takashi Yano / SHUEISHA Inc.
Kai: Wir haben ein vielfältiges Manga-Programm, um das wir uns gut kümmern möchten. Fast alle Light Novels, die wir in den letzten zwölf Jahren verlegt haben, sind beim hiesigen Publikum auf deutlich geringeres Interesse gestoßen als Manga, selbst wenn die Novels mit neuen Geschichten aufwarten konnten. Die Kalkulation kleinerer Auflagen ist bei Light Novels für uns schwieriger, z. B. wegen der höheren Übersetzungskosten pro Band – es sind ja alles deutsche Erstausgaben, die gleich als möglichst preisgünstiges Taschenbuch, oft auch noch in Serie, erscheinen sollen. Die wenigsten eignen sich dazu, zuerst als Hardcover zum höheren Preis angeboten zu werden, wie es mit vielen westlichen Romanen geschieht. Bisher fehlt m. E. auch einfach so was wie ein großer Hit, der dieser Erzählform in Deutschland zum Durchbruch verhelfen könnte, ähnlich wie es „Dragon Ball“ und „Sailor Moon“ vor über 20 Jahren für Manga gelungen ist. Deshalb, und weil manche unserer Novels ziemliche Verluste eingefahren haben, finden aktuell nur sporadisch welche den Weg in unser Programm. Manche allerdings drucken wir sogar nach, wie gerade zwei „Naruto“-Novels, von daher haben wir Light Novels auch noch nicht ganz abgehakt.
MP: Carlsen Manga hat 2019 ein gutes Plus am Markt gemacht. Welche eurer Titel waren 2019 eure umsatzstärksten Neuheiten?
Kai: Die erfolgreichsten Serien 2019 waren für uns „Naruto Massiv“, „My Hero Academia“, „One Piece“, „Dragon Ball Super“ und „Attack on Titan“. Beste Serien-Neustarts waren „Edens Zero“, „Dr. Stone“, „Dragon Ball Massiv“ und „Yakuza Goes Hausmann“. Umsatzstark waren daneben auch höherpreisige Editionen, wie etwa die Perfect Editions von „Battle Angel Alita“ und „Monster“, die Deluxe-Hardcover zu „Attack on Titan“ und Junji Itos „Uzumaki“ sowie „H.P. Lovecrafts Der Hund und andere Geschichten“.
MP: Mit Naruto Massiv und Dragon Ball Massiv habt ihr einen Trend für Re-Editionen zu einem günstigeren Preis hervorgerufen. Bald folgt noch Soul Eater Massiv. Plant ihr, eure Massiv-Reihen exklusiv dem Shounen-Genre vorzubehalten, oder könntet ihr euch auch weitere Re-Editionen vorstellen? Habt ihr vielleicht sogar schon konkrete Pläne? (z. B. oft gewünscht: Fruits Basket.)
NARUTO © 1999 by Masashi Kishimoto / SHUEISHA Inc.
Kai: Zunächst mal: Re-Editionen sind ja nichts wirklich Neues am Manga-Markt, wir haben auch früher schon Sammelbände in Hardcover-Form (z.B. „Angel Sanctuary“) oder als dicke, preiswertere Taschenbücher (etwa die „Dragon Ball“-Doppelbände sowie „Magic Knight Rayearth“, „Cherry Juice“, „Wish“, „Zeus“) verlegt. Die „Massiv“-Ausgabe von „Naruto“ basiert auf einer japanischen Convenience-Store-Edition; Konzept und „Massiv“-Labeling übertragen wir nun z. T. auch auf andere Serien, wo es für uns Sinn macht. Für andere Titel wie „Battle Angel Alita“, „Monster“ oder „Attack on Titan“ haben wir hochwertigere Aufmachungen für die Neueditionen gewählt – also größeres Format, Farbseiten etc. Wir überlegen also je nach Serie, wie die angepeilte Zielgruppe solche Ausgaben wohl haben möchte. Prinzipiell können wir uns Re-Editionen unterschiedlicher Art vorstellen, d. h. nicht nur auf Shounen- oder Seinen-Manga bezogen. Wir wollen es bei der Anzahl solcher Projekte aber auch nicht übertreiben: Letztlich wollen wir in jedem Halbjahres-Programm auch den richtigen Mix zwischen Neustarts und Re-Editionen finden – lasst Euch überraschen, was wir uns für 2021 vorgenommen haben. ?
MP: Nachdem fast alle Conventions dieses Jahr ausfallen, haben eure Kollegen mit KAZÉ Connect/#altralive ein Convention-Feeling für Daheim geschaffen. Werdet ihr von Carlsen Manga auch etwas Ähnliches organisieren?
Kai: Der direkte Austausch mit den Fans fehlt uns wirklich sehr! Eine komplett eigene Digital-Con wie z. B. von KAZÉ haben wir von uns aus aber bisher nicht geplant, z. T. aus Kapazitätsgründen. Wir schauen uns aber diese Formate an und beteiligen uns z. T. auch, wie etwa kürzlich beim digitalen Comic-Salon (#csedigital, siehe auch www.comic-salon.de). Es werden wohl weitere Gelegenheiten folgen, wo wir digitaler als bisher in Erscheinung treten werden – wichtig ist uns, dass es den Fans auch Spaß macht. Eine reine „Hochjubel-Show“ für unser Programm, so als Dauerwerbesendung, bockt sicher nicht so richtig. Ich persönlich fände z. B. ja verlagsübergreifende, digitale Talkrunden spannend, unter Live-Beteiligung der Fans – so was müsste idealerweise „neutral“ moderiert und präsentiert werden. Fan-Input dazu würde uns jedenfalls sehr interessieren!
MP: Einige Fans werfen Carlsen Manga vor, dass Shoujo- und BL-Segment – verglichen mit dem Shounen-Programm – etwas stiefmütterlich zu behandeln. Wie steht ihr zu diesem Vorwurf?
Kai: Shounen-Serien sind der „Motor“ des Manga-Marktes mit dem größten Publikum, und für uns seit Langem das wichtigste Standbein im Manga-Bereich – „Dragon Ball“, „One Piece“, „Naruto“, „Fairy Tail“ und andere Serien wie „My Hero Academia“ zählen zu unseren absoluten Dauersellern, die auch heute noch ständig neue Fans finden. Es steht für uns außer Frage, dass dieser Bereich unser erster Fokus sein muss – viele langlaufende Serien sind darunter. Das trifft ähnlich auch für unser Seinen-Programm zu; von den reinen Titelmengen her erscheinen bei uns tatsächlich weniger Shoujo- und Boys-Love-Titel – wenn das also die Menge das Kriterium ist: ja, dann verstehe ich den Vorwurf. Allerdings versuchen wir bei unseren Programmplanungen auch, den Gesamtmarkt im Blick zu behalten, das Angebot hat sich im Laufe der Jahre ja stark verändert. Bei uns kommen mehr Titel für (intendiert) männliche Leser – Mitbewerber wie TOKYOPOP, EMA oder KAZÉ haben dafür eben andere Schwerpunkte, mit anteilig mehr Shoujo- und BL-Titeln. In den Segmenten Romance und Boys Love gibt es derzeit viel mehr Konkurrenz als früher, da kannibalisieren sich die Verkäufe mitunter auch ein wenig. Wir haben uns deshalb in letzter Zeit ganz gezielt um andere Genres wie z. B. „Slice of Life“ gekümmert, mit Titeln wie „The Golden Sheep“ oder „Moving Forward“, auch um das Angebot inhaltlich vielfältiger zu machen. Und haben zugleich unglaublich tolle Titel mit LGBT+/Identitäts-Thematiken veröffentlicht, wie „Der Mann meines Bruders“, „Wer bist du zur blauen Stunde?“ oder Kabi Nagatas „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“. Hinzu kommt, dass wir im Shoujo-Bereich mit „Anonymous Noise“ oder „Takane & Hana“ auch Serien publizieren, die relativ viele Bände umfassen. Hätten die beiden Reihen (mal angenommen) nicht je 17 oder 18 Bände, sondern nur fünf oder sechs, wären auf ihren jeweiligen Programmplätzen schon neue Shoujo-Titel gestartet.
FUKUMENKEI NOISE © 2013 by Ryoko Fukuyama / HAKUSENSHA Inc.
MP: Fans kritisieren die zahlreichen Rechtschreibfehler, die in den ersten Auflagen der beispielsweise neueren "Vinland Saga" oder „My Hero Academia“-Bände enthalten sind. (Bei Letzterem wurden teilweise sogar Namen verwechselt.) Wie kann so etwas passieren?
Kai: Wir finden so etwas natürlich super ärgerlich – niemand ist betrübter über so was als unsere eigenen Mitarbeiter*innen. Fehler sind menschlich, passieren kann so was überall, wo Arbeitsteilung und qualmende Deadlines herrschen – so etwas kann redaktionell durchrutschen, bei Dienstleistern oder auch mal in der Herstellung, wenn versehentlich ein fehlerhaftes PDF an die Druckerei ging. Wir können uns für solche Fälle nur entschuldigen und versuchen, es beim nächsten Mal (bzw. bei einer Neuauflage) besser zu machen. In krasseren Fällen haben wir ja auch schon mal Titel zurückgerufen. Ich kann nur darauf verweisen, dass so etwas unabsichtlich geschieht und sich bei Carlsen Manga alle dafür reinhängen, damit die Fans schönes Lesefutter bekommen und immer wieder auch schöne Extras, Ausstattungen, Formate oder Editionen, die es anderswo nicht gibt.
MP: Als einer der wenigen Verlage in Deutschland haltet ihr aktiv auch schwächer laufende Titel lieferbar – warum und wie rechnet sich das?
Kai: Ein Stück weit wird das natürlich querfinanziert durch Hitserien. In manchen Fällen haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass Nachdrucke in Mini-Auflagen zu höherem Preis (u. a. bei „Billy Bat“ oder „Junjo Romantica“) akzeptiert werden, weil die Serien von den Fans so noch komplettiert werden können, ohne dass man Mondpreise für vergriffene Bände bezahlen muss.
MP: Weswegen entschied man sich, bereits Attack on Titan Deluxe zu veröffentlichen, obwohl das Sammler der regulären Ausgabe potenziell verärgern könnte? (Beispielsweise aber auch Soul Eater Massiv – wegen des Buchrücken-Motivs.)
Kai: Andere Editionen richten sich i. d. R. – zumindest teilweise – an neue Leser, wir planen solche zusätzlichen Verwertungen ja nicht Jahre im Voraus. Das entwickelt sich im Laufe der Zeit, auch bei den Lizenzgebern und Mangaka ergeben sich manchmal erst später neue Möglichkeiten. Bei „Attack on Titan“ haben wir die größeren Editionen in den USA und Frankreich gesehen, fanden deren Gestaltung und das Softcover aber nicht so schön – Triple-Hardcover mit allen verfügbaren Farbseiten, schwarzem Coverdesign als „Deluxe“-Version hielten wir aber für eine tolle Idee. Unser Konzept wurde uns quasi wie gewünscht genehmigt, diese Edition gibt es weltweit nur bei uns, dafür sind wir dankbar – und schon ein bisschen stolz drauf. Über den Zeitpunkt des Launches kann man natürlich streiten, aber wem das zu früh war, der wartet ohnehin mit dem Kauf oder bleibt bei den Taschenbüchern bzw. den Schubern. Wer sich über solche Editionen ärgert, hätte dies auch getan, wenn die Edition später gestartet wäre. Die Bände erscheinen ja auch mit Zeitabstand zu den TB-Ausgaben.
Bei den „Soul Eater“-Taschenbüchern mussten wir damals (ab 2009) den Originalausgaben folgen, die Möglichkeit eines Rückenbildes ergab sich hier erst später. Das haben uns die französischen Kollegen von Kurokawa vorgemacht, wir dürfen das nun für unser „Massiv“-Format adaptieren und auch ein etwas anderes Coverdesign bringen.
SOUL EATER © 2003 by Atsushi Ohkubo / SQUARE ENIX Co., Ltd.
MP: Carlsen Manga ist bezüglich Cover-Veredelungen sehr experimentierfreudig. Ob UV-Lack, Laminierung oder Karton-Haptik, die Bände fühlen sich oftmals hochwertig an. Aber wie entschiedet ihr intern, welcher Manga wie veredelt wird und wie wirken sich diese Veredelungen gegebenenfalls auf den Preis aus?
Kai: Wir lieben schöne, gedruckte Bücher! Am liebsten würden wir noch viel mehr experimentieren, manchmal kommt uns die Kalkulation dazwischen. Das besprechen bei uns jeweils Redakteur/in mit Hersteller/in, meist haben wir im Vorfeld 1–2 Ideen dazu, tauschen uns dazu aus und versuchen, den Taschenrechner zu sabotieren. ? Preisaufschlag „nur“ aufgrund der Cover-Haptik versuchen wir also nach Möglichkeit zu vermeiden.
MP: Für was, welche Vorstellungen, Werte und Ideale, soll das Label Carlsen Manga stehen?
Kai: Puh … So was haben wir nicht an der Wand stehen. Ich lehne mich mal aus dem Fenster: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Vielfalt, Freundschaft, Spaß, Freude am Entdecken, ein paar kleine Zumutungen (hey, es sind nur Striche auf Papier) und Friede auf Erden. ?
MP: Ihr labelt einige Manga als „Special“ wie „Folge den Wolken nach Nord-Nordwest“ oder „Der Mann meines Bruders“. Was hat es damit auf sich und wie entscheidet ihr, welcher Manga das Label „Special“ bekommt?
Kai: Gute Frage: „Special“ war mal für Titel gedacht, die in die anderen „offiziellen“ Manga-Genres nicht reinpassten. Inzwischen haben das alle Verlage etwas erweitert, vielleicht würden wir die heute anders labeln. Wenn Euch das Genre-Label stört oder irritiert: einfach ignorieren. ?
MP: Früher publizierte Carlsen Manga relativ freizügige Manga wie Plastic Little von Satoshi Urushihara. Mit Ausnahme von Triage X scheint man mit dieser Art von Titeln aber so ziemlich abgeschossen zu haben, obwohl sich viele Stimmen Titel in dieser Richtung wünschen. Gibt es da bestimmte Gründe, die gegen die Lizenzierung von Manga mit aufreizenden Inhalten sprechen?
Kai: Ich weiß nicht, welche „vielen Stimmen“ bzw. welche Titel gemeint sind. Das Publikum für Manga mit ein wenig Ecchi-Einschlag ist m. E. inzwischen stark geschrumpft, verglichen mit früher, die übrigen Titel mit solchem Einschlag tun sich bei uns eher schwer. Ich persönlich habe gar nix gegen aufreizende Inhalte, aber gut erzählt und toll gezeichnet sollten sie schon sein. Davon gibt es m. E. nicht viele, manches ist ja auch schon anderswo im Programm. „Heimliche Blicke“ bei KAZÉ fand ich z. B. sehr cool.
MP: Kai, jetzt haben wir viel über die Fans gesprochen. Aber welche sind deine persönlichen Highlights aus dem Carlsen-Katalog?
Kai: Etwas verkürzt gesagt: fast alle Manga, die bei uns im Großformat erscheinen, wobei das nicht zwingend miteinander zusammenhängt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir viele „Redaktionslieblinge“ auch einigermaßen gut über die Runden kriegen. Ich beschränke (ha, ha) mich mal auf aktuellere: die Perfect Edition von „Monster“, die Lovecraft-Adaptionen von Gou Tanabe (in Kürze startet „Berge des Wahnsinns“, reinschauen!), „Folge den Wolken nach Nord-Nordwest“, „Wer bist du zur blauen Stunde?“ und die Titel von Kabi Nagata. Aber auch Serien im Taschenbuch-Format, wie „Blue Giant Supreme“ und „Yakuza Goes Hausmann“. Ich freue mich auf den Herbst mit Kan Takahamas „Der Liebhaber“ und, sorry, ich gehe total steil auf „Search & Destroy“ von Atsushi Kaneko.
HOKUHOKUSEI NI KUMO TO IKE ©️2017 by Irie Aki / KADOKAWA CORPORATION
MP: Viele Verlage haben sich aus dem Comicforum verabschiedet oder sind dort nicht oder eher spärlich anzutreffen. Warum pflegt ihr dieses so gut und worin siehst du die Vorteile an einem Forum?
Kai: Na ja, leider verabschiedet haben sich „nur“ zwei, mindestens fünf Verlage mit Manga-Output sind dort noch vertreten: neben Carlsen Manga sind das KAZÉ, Manga Cult, Schreiber & Leser und Reprodukt. Ich persönlich mag das Forum sehr, weil man dort tiefgründiger und relevanter diskutieren und in Austausch miteinander treten kann, wenn man möchte auch unter reinem Usernamen (man kann auch mitlesen, ohne angemeldet zu sein, was m. E. nicht Wenige tun). Und m. E. auch authentischer und elaborierter als auf anderen Plattformen. Man findet das meiste relativ schnell wieder, auch diverse archivierte Threads. Man findet interessante Infos, wenn man möchte, in übersichtlicher Form. Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram & Co. gehen eher in eine andere Richtung, sind oft kürzer, knackiger, schnelllebiger – auch völlig o. k., aber das Forum möchte ich nicht missen und aus Verlagssicht ist es sehr praktisch, weil wir z. B. im Fragenthread den Fans gezielt antworten können und sich das nicht über gefühlt 37 Mini-Postings verteilt. Natürlich muss man sich als Verlag dort auch der Kritik stellen können und sich regelmäßig drum kümmern. Mir macht das Forum Spaß! Meistens jedenfalls. ?
MP: Mit Focus 10 von Martina Peters und BL is Magic von Oroken habt ihr zwei erfolgreiche Titel deutschsprachiger Zeichnerinnen vorzuweisen. Für wie wichtig hältst du es, die Szene hierzulande zu fördern, und sind die Produktionen wirtschaftlich bereits rentabel oder eher als eine Investition in die Zukunft zu betrachten?
Kai: Für extrem wichtig halte ich das. Wir würden gerne mehr Manga-Eigenproduktionen bringen, aber unsere Kapazitäten sind begrenzt – wir wollen uns redaktionell auch gut um Autor*innen und Mangaka kümmern können. Aus Verlagssicht sind Eigenproduktionen zunächst mal Investitionen, allerdings gibt es einige, die gut gelaufen und auch z. T. ins Ausland lizenziert worden sind – zudem wollen wir das nicht nur mit dem Taschenrechner betrachten. Die direkte Zusammenarbeit mit Martina, Oroken/Zofia, Kamineo und anderen ist für uns ja auch sehr wichtig, sie repräsentieren Manga ja auch für uns, wenn sie z. B. in Buchhandlungen und Comic-Shops oder auf Cons signieren, Workshops geben usw. Wir freuen uns sehr, dass wir bald auch mit Simone „Schmoe“ Grünewald zusammenarbeiten („Sketch Every Day“, ab Herbst), auch wenn wir in diesem Fall das Buch sogar aus dem Ausland lizenziert haben. Wichtig ist und bleibt die Suche nach Möglichkeiten, die Einkommensverhältnisse für einheimische Künstler*innen zu verbessern.
MP: Vielen Dank für deine Zeit und das Interview!
Kai: Gerne, schöne Sommertage und macht weiter so mit manga-passion.de!
Und noch ein kleines Entweder-oder zum Abschluss.
MP: Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit oder Der Mann meines Bruders?
Kai: Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit.
MP: One Piece oder Dragon Ball?
Kai: Dragon Ball. Aus rein historischen Gründen.
MP: Naruto Massiv oder die normale Taschenbuchausgabe?
Kai: Die Taschenbuchausgabe. Mehr farbige Cover! ?
MP: Fruits Basket oder Dr.Slump?
Kai: Dr.Slump. Ich lache sehr gerne …
MP: Maid-sama oder Vampire Knight?
Kai: Vampire Knight.
MP: Blue Giant Supreme oder Folge den Wolken nach Nord-Nordwest?
Kai: NO WAY: BEIDE
MP: Rental Girlfriend oder Yakuza Goes Hausmann?
Kai: Yakuza Goes Hausmann.
MP: Jumping oder Moving Forward?
Kai: Moving Forward.
MP: Orange oder Dreamin’ Sun?
Kai: Orange
MP: You Higuri oder Kaori Yuki?
Kai: Uargh, Fangfrage – You Higuri, auch aus historischen Gründen, wegen ihres sehr netten Besuchs.