Besprechung zu Taiyo Matsumotos „GoGo Monster“
Immer wieder erscheinen neue Werke von Taiyo Matsumoto auf Deutsch. Ende April stellten wir unserer Leserschaft die 2018 bei Manga Cult erschienene Master Edition zu Tekkon Kinkreet vor, zuvor legten wir Besprechungen zu den ersten beiden Bänden seiner Sunny-Reihe vor. Folglich liegt es nahe, dass wir auch das Anfang Juni von Reprodukt ausgelieferte GoGo Monster näher behandeln.
Die deutschsprachige Ausgabe orientiert sich designtechnisch an der japanischen Originalfassung, die im Jahr 2000 von Shogakukan herausgegeben wurde. Rund 450 Seiten zählt das fadengebundene Hardcover-Buch, das mit einem Großformat von 21 auf 15 Zentimeter aufwartet. Die Außenseite ist mit einem Farbschnitt veredelt, welcher die Abstufung durch den Gebrauch verschiedener Rottöne ausgewählte Motive hervorhebt.
Darüber hinaus wird GoGo Monster mit einer bedruckten Karton-Box ausgeliefert, die sowohl an den beiden Seiten als auch oben und unten verschlossen ist. Es handelt sich dabei allerdings nicht um einen auf der Rückseite geschlossenen Schuber – offenbar bewusst, denn der gestaltete Farbschnitt soll sichtbar bleiben. Aufgrund der beschriebenen Aufmachung ist ein Preis von 29,00 € angesetzt. Die Übersetzung aus dem Japanischen stammt von Daniel Büchner, der in der Vergangenheit bereits Shigeru Mizukis Tante NonNon für Reprodukt ins Deutsche übersetzt hat.
Inhaltsbeschreibung
Yuki Tachibana ist ihm zweiten Jahr der Grundschule und steht im Mittelpunkt der Geschichte. In seiner Klasse ist der Junge als Sonderling bekannt. Seine Mitschüler schneiden ihn, da er immer wieder von einer Welt auf „der anderen Seite“ spricht, die laut ihm von „ihnen“ besetzt ist. Der Durchgang zu „dieser Seite“ sei offen. Hin und wieder käme es daher vor, dass diese Wesen, diese nicht näher beschriebenen Erscheinungen, in Kontakt mit den Menschen treten, ihnen mitunter kleine Streiche spielen. Den Fall eines verschwundenen Radiergummis schreibt Yuki so beispielsweise einerm Wesen zu, das er „Chance“ nennt. Lediglich der angejahrte Hausmeister Gantz nimmt den Jungen ernst, weil er nicht der erste Schüler sei, der ihm von solchen Begebenheiten berichtet.
Im Frühling des neuen Schuljahres wird die benachbarte Shinmei-Grundschule vorübergehend geschlossen, deren Schüler auf die umliegenden Einrichtungen aufgeteilt. Unter den zu Yukis Klasse hinzustoßenden Kindern ist auch Makoto Suzuki, dem per Losverfahren – wie das ihn Japan üblich ist – der Sitzplatz neben dem schulbekannten Eigenbrötler zugewiesen wird.
Außerdem wandelt auf dem Gelände mit Sasaki ein älterer Schüler umher, der sein Gesicht in einem Karton verbirgt, in den lediglich ein Guckloch geschnitten ist. Obwohl dieser, wie auch Yuki, aus der Masse heraussticht, wird er nicht gehänselt – ganz im Gegenteil: Er scheint die anderen Kinder unter seiner Kontrolle zu haben, er wird geradezu gefürchtet. Gleichzeitig ist der mysteriöse Sasaki bei den Lehrern beliebt. Diese drei beziehungsweise vier Figuren bilden im Wesentlich das Ensemble.
In GoGo Monster steht das Thema der Wirklichkeit im Mittelpunkt – ob Yukis Erzählungen über ein herrschendes Wesen, das er als „Superstar“ bezeichnet, real sind, ist Kern des eingebetteten Diskurs. Während es scheinbar sichere Belege für seine Behauptungen gibt, liegt aber auch die Theorie der kindlichen Imagination jener Dinge durchaus nahe.
Insgesamt umfasst die Geschichte fünf Kapitel. Es ist hierbei nahezu komplett an Leserschaft, die Bedeutung der geschilderten Inhalte auszuhandeln. Während Yuki und Sasaki jeweils ein eigenes Verständnis von der Welt haben, kommt Makoto die Rolle des skeptischen Beobachters zu. Dieser fungiert als eine Art Freund für den Eigenbrötler und als jemand, der ihn nicht verspottet, sondern ihm zuhört und somit zugleich versucht, Belege für dessen scheinbar unglaubliche Behauptungen zu finden …
Das gesamte Setting ist dabei an das Schulgelände als Handlungsschauort gebunden. Sowohl die Garten- und Kleintieranlagen als auch die verschiedenen Stockwerke des Hauptgebäudes sind elementare Bestandteile der Erzählung. Selbiges gilt für andere wiederkehrende Komponenten, etwa die Mundharmonika oder Flugzeuge.
Visualisierung
Während die erklärte Geschichte nur bedingt Matsumotos Handschrift trägt, sind die Zeichnungen zweifelsohne seiner Stilrichtung zuzuordnen. Der skizzenhafte Charakter seiner Darstellungen ist ein bekanntes Wiedererkennungsmerkmal, das die deutschsprachige Leserschaft beispielsweise aus den eingangs genannten Reihen, Tekkon Kinkreet und Sunny, kennt.
Insbesondere die sichtbar freihändige Linienführung ist markant für den Stil des Japaners. Dünne Striche formen die belebte, aber auch die im Hintergrund verortete Umwelt. Mensch und Tier sind teilweise vereinfacht, aber nicht abstrakt gestaltet. Struktur ist entweder mit verschiedenen Schraffuren oder dem Einsatz mehrerer Graustufen verliehen, beides dient der Kontrastierung. Dadurch stellt sich eine Art rustikale, leicht düstere Atmosphäre ein, die das zu erlebende Gesamtbild natürlich entsprechend beeinflusst.
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Mit voranschreitender Handlung wandelt sich die Visualisierung zunehmend in eine experimentellere Richtung. Einerseits nimmt die Textmenge gegen Ende ab. Die einzelnen Bilder rücken dadurch merklich in den Vordergrund, womit zugleich eine Fokussierung der Inhalte angelegt ist. Andererseits bereichert die Hinzunahme weiterer Illustrationstechniken die Optik nachhaltig, so bleibt der Ausdruck nicht starr, sondern ist – wie wohl auch Protagonist Yuki – in einem Prozess der Entwicklung.
Für alle Interessierten stellt der deutschsprachige Herausgeber hier auf der offiziellen Webseite ein paar Innenseiten zur Ansicht bereit.
Über Autor und Zeichner Taiyo Matsumoto
Taiyō Matsumoto, geboren 1967, bedient in seinen Werken ein breites Themenspektrum. Seine Titel bewegen sich zwischen Science-Fiction-Epen, Familiengeschichten und Sportabenteuern. In seiner Studienzeit an der Wako Universität trat Taiyō Matsumoto dem Comic-Seminar bei. Seine Entscheidung, Mangaka zu werden, begründet er mit dem Einfluss seines Cousins und bekannten Mangaka Inoue Santa wie auch mit seiner Faszination an Ôtomo Katsuhiros Manga „Dômu“ („Das Selbstmordparadies“, Alpha Comics). Matsumoto brachte keinerlei Vorkenntnisse mit und lernte die Techniken von Grund auf.
Seinen ersten Manga konnte er dennoch bereits während seiner Studierendenzeit im „Afternoon“-Magazin publizieren. Der Durchbruch gelang Matsumoto 1994 mit „Tekkon Kinkreet“, die Sammelbände verkaufen sich in Japan über eine Million Mal. Auf Deutsch erschien die mit dem Eisner Award ausgezeichnete Serie 2019 im Cross Cult Verlag. Seine Werke werden bis heute regelmäßig ins Englische, Französische und Spanische übersetzt. Im Stil des japanischen Mangazeichners finden sich viele europäische Einflüsse. Zu seinen Vorbildern zählt Matsumoto Miguelanxo Prado, Enki Blal und Moebius.
Ähnlich wie Jiro Taniguchi („Der spazierende Mann“, Carlsen) bewegt sich Matsumoto erzählerisch und zeichnerisch jenseits des Manga-Mainstreams, doch seine internationale Fangemeinde ist groß. Sicher auch dank seines unkonventionellen und häufig auch surrealen Zeichenstils. (© Carlsen Verlag GmbH)
Fazit
Wie von Taiyo Matsumoto gewohnt, präsentiert er mit GoGo Monster eine anspruchsvollere Geschichte, die die Leserschaft stets aktiv in den Interpretationsprozess des Geschehens miteinbezieht. Der Japaner offeriert in diesem Zuge Ansätze für verschiedene Lesarten, verbleibt aber vage in Bezug auf die genauen Hintergründe. Auf diese Erzählweise ist sich für das vollumfängliche Erlebnis einfach einzulassen.
Selbiges gilt für den zuvor beschriebenen Zeichenstil, der nicht glatt poliert, sondern willentlich rudimentär ist. Gleichzeitig ist die Darstellung nicht zu überfordernd, nicht in hohem Maße abstrakt. Trotz der – inhaltlich wie visuell – recht experimentellen Art verbleibt das Werk im Gesamten einer vergleichsweise breiten Leserschaft zugänglich. Sicherlich adressiert der Titel zwar vornehmlich ein ausgesuchtes Publikum, dennoch sollte sich nicht gescheut werden, über den sprichwörtlichen Tellerrand hinauszublicken. Der vorliegende Einzelband ist eine hervorragende Gelegenheit, einmal außerhalb der bekannten Genre- und Stil-Umgebung zu schnuppern.
Die deutschsprachige Ausgabe von Reprodukt überzeugt, wenn auch nicht mit Bestnote. Sowohl das Format als auch der Farbschnitt sind ansprechend; die Papierdicke der einzelnen Seiten ist ausreichend, aber nicht außergewöhnlich. Allerdings ist die als Schuber beworbene Box nur aus einfachem, bedrucktem Karton – das entspricht nicht der Qualität anderer bekannter Manga-Schuber und könnte somit zu falschen Erwartungen leiten. Passionierte Leser:innen alternativer Comics sollten die 29,00 € dennoch nicht scheuen, da, aus unserer Sicht, der Inhalt gegenüber der Aufmachung schwerer zu gewichten ist.
Abschließend bedanken wir uns bei Reprodukt für das unverbindliche Zusenden eines Belegexemplars.