Besprechung von „Shigeru Mizuki – Mangaka“
Vergangenen November legten wir in Gedenken an den fünften Todestag von Shigeru Mizuki unsere Besprechung zum zweiten Teil seiner von ihm selbst gezeichneten Autobiographie vor. Mit dem dritten Doppelband, der hierzulande den Beititel Mangaka trägt, gilt die deutschsprachige Ausgabe von Reprodukt als abgeschlossen. Wir präsentieren hier unser finales Gesamturteil zu dem Werk.
Der Berliner Independent-Verlag hat die ursprünglich sechs Taschenbücher in drei Sammelbänden zusammengefasst. Seit Anfang Juli ist der Abschlussband auf Deutsch erhältlich. Auch das Finale wird als großformatige Klappenbroschur ausgeliefert, diesmal jedoch mit einem Umfang von rund 500 Seiten. Preislich sind 24,00 € angesetzt – für das Gebetone ist das absolut fair.
Nora Bierich wurde erneut mit der Übersetzung betraut, die studierte Japanologin überführte unter anderem bereits verschiedene Werke des japanischen Nobelpreisträgers Kenzaburō Ōe ins Deutsche. Das Nachwort von dem US-amerikanischen Übersetzer von Mizukis Werken, Zack Davisson, wurde unterdessen aus dem Englischen übersetzt. Dieses erstreckt sich über achtzehn Seiten und fasst die wichtigsten Details zu Mizukis Leben noch einmal mit ergänzenden Informationen zusammen. Die Reprodukt-Ausgabe beinhaltet darüber hinaus ein umfangreiches Glossar.
Inhaltsbeschreibung und Erzählweise
In den ersten beiden Doppelbänden berichtete Shigeru Mizuki sowohl von seiner Kind- und Jugendzeit als auch von seinen Kriegserlebnissen. In diesem Zuge thematisierte er das erfahrene Leid der japanischen Soldaten seiner Einheit, seine Malaria-Erkrankungen und nicht zuletzt die notwendige Amputation seines linken Arms. Auch das Zeichnen fand bereits frühzeitig Erwähnung.
Japan unterlag im zweiten Weltkrieg schließlich den Alliierten, entsprechend geschwächt war die Wirtschaft – und so auch das Volk. In der Nation setzte sich die Armut fort, für Kultur blieb zunächst wenig Raum. Für die japanische Bevölkerung stand zu dieser Zeit vor allem das Überleben im Mittelpunkt. Als Zeichner war Mizuki auf Leihbibliotheken und Verlage angewiesen, doch die Konjunktur behinderte Mangaka wie ihn am gesellschaftlichen Aufstieg.
Mit zunehmendem Alter drängten Mizukis Eltern auf eine Heirat, eine Braut hatten sie ihm bereits ausgesucht – sie entsprach zunächst zwar mitnichten den Vorstellungen des Künstlers, aber die Familie besaß Kimonos und galt damit als etwas besser situiert. Er willigte also formal in die bereits arrangierte Ehe ein, im Manga nimmt seine Frau aber nur eine Rolle am Rand ein – sie ist da und kommt gelegentlich zur Sprache, wird aber mitnichten in besonderer Weise hervorgehoben. Selbiges gilt für die gemeinsamen Kinder.
Viel eher liegt der Fokus auf Mizukis Aufstieg innerhalb der japanischen Kulturgeschichte. Der Erfolg seiner beiden Werke Akuma-kun und Kitaro, das seit diesem Monat ebenfalls bei Reprodukt auf Deutsch erscheint, ebneten ihm den Weg mit an die Spitze. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er sich einen gewissen Luxus leisten, die Familie erlebte Wohlstand.
In Mangaka greift Mizuki außerdem seine vielen Auslandsreisen auf. Er berichtet von mehreren Aufenthalten auf Papua-Neuguinea, wo er im Verlauf vieler Jahre seine zu Kriegszeiten gewonnen Freunde und deren Verwandte mehrfach besuchte, und Trips nach Taiwan und Mexiko. Der Zeichner gibt zudem Einblicke in seine Tätigkeiten neben dem Zeichnen. Darüber hinaus erklärt er sein Interesse für Geisterwesen aller Art – nicht nur die japanische Yokai-Folklore, sondern auch die volkstümlichen Überlieferungen anderer Kulturen faszinierten ihn bis zu seinem Ableben 2015.
Der Abschlussband beinhaltet das Ende der sogenannten Showa-Ära. Mit dem Tod des Tennos, Kaiser Hirohito, veränderte sich etwas in Mizuki. Überraschend offen beschreibt der Japaner seine Emotionen in Bezug auf dieses Ereignis. In der darauffolgenden Heisei-Ära wurde das Land von einem der schwersten Erdbeben, dem sogenannten Kobe-Beben, getroffen. Außerdem folgten innerhalb Japans mehrere religiös motivierte Nervengiftanschläge – auch diese schwierigen Episoden des Inselstaates blendet er in seinen Ausführungen nicht aus.
Gleichermaßen ist anzumerken, dass er diese historischen, politischen und nicht zuletzt gesellschaftlichen Geschehnisse nur im Vorbeizug erwähnt. Er kommentiert sie überwiegend nicht, sondern benennt sie nur – auch zwecks zeitlicher Einordnung. Aufgrund der Art und Weise der Einbindung, handlungstechnisch wie visuell, ist dem Inhalt aber trotz scheinbarer Neutralität natürlich eine gewisse Lesart angelegt.
Die in Mangaka geschilderten Ereignisse sind unglaublich vielseitig. Mizuki berichtet, wie auch in der vorangegangenen Besprechung ausgeführt, von der Geschichte Japans über die Betrachtung von Geisterwesen in verschiedenen Kulturen bis hin zu seinen ganz persönlichen Lebensumständen. Damit ist wahrlich ein facettenreiches Spektrum an Inhalten aufgeboten. Die Trilogie vereint alles, was Mizuki auszeichnet – seine sehr persönlichen Erfahrungen in einer vom Weltkrieg stark beeinflussten Nation, sein Interesse an anderen Völkern und Kulturen sowie sein teils geradezu kindlicher Humor. Letzteres, seine scheinbare Leichtigkeit, prägte seinen Erzählstil entscheidend.
Über Shigeru Mizuki
Shigeru Mizuki gilt als einer der ersten japanischen Zeichner, der Manga für eine erwachsene Leserschaft geschrieben und gezeichnet hat. Geboren 1922, haben ihn vor allem die Kriegsjahre geprägt, in denen er im Dienst der Kaiserlichen Japanischen Armee in Papua-Neuguinea kämpfte und bei einem Luftangriff der Alliierten seinen linken Arm verlor.
Zurück in Japan zeichnete er ab 1959 die ersten Geschichten um die Figur des einäugigen Waisenjungen Kitarō, der sich in der Welt der Yōkai – Monster und Geister aus japanischen Legenden – bewegt und der zu seiner populärsten Schöpfung wurde, über die Jahrzehnte wieder und wieder in Zeichentrickserien und Realfilmen zum Leben erweckt. Neben seiner Faszination für die Welt des Übernatürlichen hat Shigeru Mizuki – nach seinen Erlebnissen von 1943 bis 1945 – zeitlebens auch an historischen Stoffen gearbeitet.
So erzählt er auf 2.000 Seiten die Geschichte der Shōwa-Zeit, legt eine Biografie von Adolf Hitler vor und beschreibt in “Auf in den Heldentod!”, basierend auf eigenen Erfahrungen, von japanischen Soldaten, die in Neubritannien zum Selbstmord genötigt werden. In “Non Non Ba” berichtet er von der eigenen Kindheit an der Seite einer alten Frau aus seinem Dorf, die ihm die Geschichten der Yōkai erzählt, die Shigeru Mizuki bis an sein Lebensende an seine LeserInnen weiterreicht und somit dazu beiträgt, eine japanische Tradition aufrechtzuerhalten.
Vielfach ausgezeichnet ist Shigeru Mizuki am 30. November 2015 im Alter von 93 Jahren in Tokio verstorben. (© Reprodukt)
Visualisierung
Obwohl der Manga um die Jahrtausendwende, also erst vergleichsweise spät entstand, erscheinen die Illustrationen wie aus einer seit Jahrzehnten vergangenen Epoche. Mizuki blieb seinem Stil – erzähltechnisch wie visuell – erfreulicherweise stets treu. Dies korrespondiert in Folge unmittelbar mit der Atmosphäre des gesamten Titels, der Zeitgeist der Geschehnisse ist sowohl auf der inhaltlichen als auch der gezeichneten Ebene hervorragend eingefangen.
Das Charakterdesign ist im Wesentlichen simpel gehalten, mit einfachen Linien und Formen hat Mizuki sich selbst und die weiteren Figuren zum Leben erweckt. Im Kontrast dazu sind die übrigen Darstellungen oftmals von besonderem Detailreichtum. Mit kleinen Strichen und Linien sind alle möglichen Motive, zum Beispiel historische Bauten und Kunstschätze, imposant inszeniert.
MIZUKI SHIGERU: BOKU NO ISSHÔ WA GEGEGE NO RAKUEN DA 1, 2 © 2019 Mizuki Productions
Immer wieder sind zudem Fotografien Teil der Bebilderung, diese sind geschickt in die Zeichnungen eingeflickt und mitunter nicht einmal auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Besonders beeindruckend ist ein Foto, das Mizuki bei einem Besuch auf Papua-Neuguinea zeigt – diese Abbildung ist viel mehr als nur ein bloßer Beleg für seine Ausführungen, sie berührt tief und verleiht beim Lesen Gänsehaut.
Mit beeindruckendem Geschick schaffte es Mizuki immer wieder, die trotz allem ernsten Thematiken mit einigen humoristischen Elementen zu spicken – selbst vor dem Tod machte der Japaner dabei nicht halt. Auf der offiziellen Webseite von Reprodukt sind hier ein paar Seiten aus dem Buchinneren zur Ansicht hinterlegt. Diese vermitteln einen sehr guten Eindruck von der Bildgewalt des Künstlers.
Fazit
Diese autobiographische Trilogie ist aus unserer Sicht mit nicht weniger als Meisterwerk zu bezeichnen. Shigeru Mizuki berichtet auf etwa 1500 Seiten von den wichtigsten Ereignissen in seinem Leben bis in das Jahr 2001. Er vermittelt dadurch nicht nur seine ganz eigene Lebensgeschichte, sondern auch wichtige Teile der Geschichte und Kultur Japans, die noch bis heute von großer Bedeutung sind. Das Ganze bettet er dabei in seine ganz eigene Erzählweise ein, die sowohl unterschwellig belehrend als auch bizarr-humorvoll ist.
Neben seinen biographischen Details legt der 2015 verstorbene Kriegsveteran immer wieder Zeugnis über das Vor- und Nachkriegs Japan ab. Einerseits greift er dabei auf historische Fakten zurück, andererseits schildert er in teils überraschend legerer Manier seine persönlichen Erfahrungen. Er erklärt, kommentiert und reflektiert auf beeindruckend greifbare Weise. Ihm gelingt es stellenweise regelrecht, durch seine persönliche Art der Erzählung den Zeitgeist im eigenen Kopf zu erwecken.
SÔIN GYOKUSAI SEYO! © 2019 Mizuki Productions | NONNONBA © 2019 Mizuki Productions
Bekanntermaßen wurde Mizuki in seiner Jugend als zwangsverpflichteter Soldat auf Papua-Neuguinea stationiert, er sollte dem japanischen Kaiserreich als Teil eines Himmelfahrtskommandos dienen – und das aus bloßem Ehrgefühl. Bereits in Auf in den Heldentod! griff der Zeichner diesen leidensvollen Lebensabschnitt auf. In Mangaka präsentiert Mizuki jedoch auch die "Vorzüge" dieser Zeit: seine rund 50-jährige Freundschaft zu den Eingeborenen. Der bewahrte Optimismus beeindruckt tief.
Außerdem überschneiden sich einige Inhalte des ersten Doppelbands mit Tante NonNon. Nichtsdestotrotz ist Shigeru Mizuki, so zugleich der Name der vorliegenden Reihe, von unglaublichen Mehrwert. Gekiga-Interessierte sollten insbesondere nicht den hier vorgestellten Abschlussband, Mangaka, missen. In diesem wird der Niedergang der Leihbibliotheken inhaltlich gestreift sowie der Karriereweg Mizukis aufgegriffen. Besonders Akuma-kun und der Erfolg um Kitaro werden dabei herausgehoben.
Neji-shiki • Akai hana by Yoshiharu Tsuge © 2019 Yoshiharu Tsuge
Muno no hito • Hi no Tawamure by Yoshiharu Tsuge © Yoshiharu Tsuge 1998 / SHINCHOSHA Publishing Co., Ltd.
Yoshiharu Tsuge, der hierzulande zum Beispiel für Rote Blüten und Der nutzlose Mann bekannt ist, hat ebenfalls mehrere Auftritte in dem Werk. Auch der Niedergang der Leihbiblioteken, die Pleitewelle verschiedener Verlage sowie Astro Boy-Schöpfer Osamu Tezuka und das in Fankreisen besonders wertgeschätzte Garo-Magazin finden am Rande Erwähnung.
Abschließend möchten wir Reprodukt besonderen Dank für das unverbindliche Bereitstellen eines Belegexemplars aussprechen.