Besprechung zu Susumu Katsumatas „Roter Schnee“ – Kurzgeschichten aus dem vorindustriellen Japan
Susumu Katsumata debütierte in Japan schon 1966 mit einem Beitrag für das Avantgarde-Magazin Garo als professioneller Manga-Zeichner. Mit Roter Schnee gelang dem 1943 geborenen Mangaka 2005 in Fachkreisen schließlich der Durchbruch. Eben jener Einzelband ist nun auch bei Reprodukt auf Deutsch erschienen. Wir haben ihn gelesen und berichten im Folgenden von den Inhalten.
Reprodukt hat den Titel hierzulande offiziell zum 04. November herausgegeben. Der deutschsprachige Release ist als beidseitig bedruckte Klappenbroschur im Format von 13 cm auf 18,9 cm angelegt und wartet mit einer naturpapierartigen Außenbeschichtung auf. Im Vergleich zu anderen Manga-Veröffentlichungen ist das Papier etwas dicker, hat aber zugleich einen leichten Gelbstich. Als Preis sind 16,00 € angesetzt, eine E-Book-Ausgabe wird zurzeit nicht angeboten.
Inhaltsbeschreibung
Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei Roter Schnee (jap.: 赤い雪―勝又進作品集) um eine Kurzgeschichtensammlung. Die insgesamt zehn Kapitel sind ursprünglich zwischen 1976 und 1985 in verschiedenen Manga-Magazinen abgedruckt worden, 1979 erschien bei Nihon Bungeisha eine erste Anthologie unter dem Titel Maulbeeren (jap.: 桑いちご). Aufgrund der sich damals anbahnenden Wirtschaftsblase fand diese beim japanischen Publikum allerdings kaum Beachtung.
Erst als die vorliegende, erweiterte Ausgabe 2005 von Seirinkogeisha herausgegeben wurde, erlangten die Erzählungen eine gewisse Aufmerksamkeit. Sowohl Yoshiharu Tsuge als auch Shigeru Mizuki lobten Katsumatas Arbeiten, 2006 wurde das Werk schließlich mit dem Grand Prize der Japanese Cartoonists Association ausgezeichnet. In Roter Schnee sind die folgenden Kurzgeschichten enthalten:
- Maulbeeren (jap.: 桑いちご, Juni 1978)
- Kodama (jap.: 木魂, 1985)
- Zikadenhügel (jap.: 鈴虫坂, Juli 1976)
- Die Geschichte von einem Sack (jap.: 袋の草紙, April 1978)
- Kokeshi (jap.: 子消し, Mai 1979)
- Traumgeist (jap.: 夢の精, Entstehungszeitraum unbekannt, anhand des Zeichenstils wird zwischen 1975 und 1980 geschätzt)
- Maboroshi (jap.: まぼろし, August 1978)
- Torajiro Kappa (jap.: 虎次郎河童, September 1976)
- Wildgänse-Gedenkandacht (jap.: 雁供養, März 1977)
- Roter Schnee (jap.: 赤い雪, Februar 1980)
Alle Geschichten sind in ihrem Aufbau recht ähnlich. Im Mittelpunkt der jeweils rund 20 Seiten umfassenden Episoden steht ein kleiner Figurencast aus einfachen Verhältnissen, beispielsweise die Tochter einer Prostituierten oder ein angehender Sake-Braumeister. Auch Reisende, vor allem Mönche und Handeltreibende, werden von Katsumata gerne als Protagonisten herangezogen.
Jedes Kapitel spielt im vorindustriellen Japan, das Setting ist entsprechend ländlich angelegt – die dazu passende Folklore ist inklusive. Der Mangaka stellt die Verbindung, beziehungsweise die Koexistenz, von den Menschen und der Geisterwelt zu jeder Zeit als selbstverständlich dar. Weder die Existenz der Schneefrau Yuki Onna noch die der im Wasser lebenden Kappas wird hinterfragt.
Thematisch werden in der vorliegenden Zusammenstellung nicht nur einzelne Begegnungen mit jenen übernatürlichen Wesen behandelt, sondern auch Liebe und vor allem Sex sind kapitelübergreifend wiederkehrende Motive. Dahingehend werden die Bezüge zu dem Gekiga-Segment, das mit dem klaren künstlerischen Anspruch, Manga mit erwachsenen Inhalten zu schaffen, verbunden ist, besonders deutlich.
Dem Werk hängt – wie auch schon Yoshios Jugend –ein Nachwort von Garo-Redakteur und Manga-Forscher Mitsuhiro Asakawa an. Dieses klärt prägnant über einige Hintergründe zur Veröffentlichung der einzelnen Kurzgeschichten auf und umfasst darüber hinaus ausgewählte Zitate von Katsumata und anderen Mangaka, die unter anderem im Rahmen einer Special-Ausgabe des AX-Magazins veröffentlicht wurden.
Visualisierung
Das Bestreben, ernsthafte Geschichten zu schaffen, setzt Katsumata auch auf der Bildebene erkennbar um. Seine Zeichnungen spiegeln den Zeitgeist jener Gekiga-Bewegung unverkennbar wieder. Beispielsweise ist der kleinteilige Seitenaufbau ein typisches Erkennungsmerkmal der zuvor eingegrenzten Entstehungszeit.
Obwohl der zugrundeliegende Stil auf den ersten Blick einfach wirken mag und das auf die typisch-minimalistischen Charakterdesigns in gewisser Weise auch durchaus zutreffen mag, wurde der unbelebten Umwelt, den Häusern und der Natur, im Gegenzug besondere Beachtung geschenkt. Durch dunkle Kontraste ist den einzelnen Erzählungen eine düster-mysteriöse Note verliehen.
Der Einzelband ist seitens des Herausgebers eingeschweißt. Selbst wenn der Manga im Handel des Vertrauens also auf Lager ist, kann vor dem Kauf in der Regel nicht reingeblättert werden. Auf der offiziellen Verlagswebseite stehen allerdings ein paar Innenseiten aus dem ersten Kapitel, Maulbeeren (jap.: 桑いちご), zur freien Ansicht bereit.
Über den Autor und Zeichner
Susumu Katsumata, geboren 1943 in Kahoku, Japan, begann 1965 mit der Veröffentlichung von Comic-Strips in der Avantgarde-Zeitschrift “Garo”. Er wechselte zwischen kurzen humoristischen Comic-Strips, mit denen er seinen Ruf begründete und persönlicheren Geschichten, in denen er das Leben von Bauern und Handwerkern in seiner Heimatregion schildert. Für “Roter Schnee” erhielt Susumu Katsumata 2006 den 35. Japanese Cartoonists Association Award Grand Prize. (© Reprodukt)
Susumu Katsumata erlag am 03. Dezember 2007 im Alter von 63 Jahren einem Krebsleiden.
Fazit
Aus dem Reprodukt-Verlag kommen viele Werke, die auf ihre Art alle sehr außergewöhnlich sind und sich jeweils an eine ausgesuchte Leserschaft richten. Das trifft im Besonderen auf Roter Schnee zu – die Geschichten sind zwar klar dem Gekiga-Segment zuzuordnen, aber durch die behandelten Inhalte teilweise noch etwas spezieller, noch nischiger, als die hierzulande bereits bekannten Veröffentlichungen.
Alle zehn Kurzgeschichten teilen das rurale Setting, nicht selten ist dieses zudem mit japanischer Folklore gepaart. Die sagenumwobene Schneefrau Yuki Onna und Kappa-Wesen sind dabei zwei der wohl prominenten Vertreter der ostasiatischen Sagenwelt, die Teil einzelner Erzählungen von Katsumata sind. Als Protagonisten dienen in dem vorliegenden Einzelband einfache Leute, vor allem Handwerker und Handelstreibende sowie deren Kinder. Auch Geistliche finden sich im Verlauf der Zusammenstellung immer wieder unter den Figuren.
Im Gegensatz zu einer Vielzahl von Tsuges und einigen von Mizukis Werken liegt Roter Schnee kein autobiographischer Kern zugrunde, die verschiedenen Kapitel sind in ihrem Ursprung wohl mehrheitlich fiktional begründet. Katsumatas genaue Inspirationen sind allerdings nur vage bekannt – laut eigener Aussage kam ihm die Idee für Die Geschichte von einem Sack, in der Frauen einen Wandermönch an der Weiterreise hindern indem sie ihn zum Beischlaf in einem Sack untereinander umherreichen, beispielsweise durch die Fukaro Hoshi Ekotoba-Schriftrolle (jap.: 袋法師絵詞), deren Inhalt im Allgemeinen als pornographisch gewertet wird.
Während auf ein separates Glossar verzichtet wurde und einzelne Annotationen mit Sternchen am Rand der entsprechenden Panels abgedruckt sind, wartet die deutschsprachige Ausgabe, wie zuvor erwähnt, mit einem Nachwort von Garo-Redakteur und dem renommierten Manga-Forscher Mitsuhiro Asakawa auf. Dieses gewährt verschiedene Einblicke, die das interessierte Publikum sicherlich zu schätzen weiß.
Abschließend bedanken wir uns herzlich bei Reprodukt für die unverbindliche Zurverfügungstellung eines Belegexemplars.