Interview mit Reprodukt: Dirk Rehm über Rohstoffkrise, Crowdfunding und das Programm 2022/23
Mitte April hat sich der Berliner Independent Publisher Reprodukt dazu entschieden, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten. Parallel dazu wurde ein neuer Manga für das kommende Herbstprogramm angekündigt. Wir haben das zum Anlass genommen und mit Herausgeber Dirk Rehm im Rahmen eines Interviews über Aktuelles rund um den Verlag gesprochen – Thema sind neben der Startnext-Aktion auch der weitere Umgang mit der Rohstoffkrise sowie das Manga-Programm 2022/23.
Nachfolgend kürzen wir uns mit MP ab. Wir wünschen ein Spaß beim Lesen – und viel Freude mit den Hinweisen auf die kommende Programmplanung!
MP: Guten Tag, Dirk. Danke, dass du dir wieder Zeit für unsere Fragen nimmst.
Dirk: Sehr gern, danke für euer Interesse.
MP: Ihr habt gerade sehr erfolgreich eure erste Crowdfunding-Kampagne über Startnext gestartet. Würdest du unserer Leserschaft zu Beginn bitte einmal erklären, worum es sich dabei handelt und warum das Projekt für euch aktuell so wichtig ist?
Dirk: Crowdfunding muss ich sicher nicht erklären? Wir versuchen, unser Herbstprogramm 2022 auf feste Füße zu stellen und nach Möglichkeit auch darüber hinaus abzusichern, dass wir in absehbarer Zeit die Comics veröffentlichen können, die wir veröffentlichen wollen. Nach zwei Jahren Pandemie gibt es nicht nur Papierpreiserhöhungen von aktuell bis zu 60 % bei Projekten, die wir bei Druckereien angefragt haben, sondern zunehmend weitere Unwägbarkeiten bei der Buchproduktion. Sei es, dass ukrainische LKW-Fahrer fehlen, um die Bücher aus Ost- nach Westeuropa zu transportieren. Sei es, dass eine Druckerei uns kurz nach Auftragsstellung mitteilt, dass das Papier, was gestern noch am Lager war, heute nicht mehr lieferbar ist. Und anderes Papier als Ersatz gleich noch mal eine Kostensteigerung um 30 % bedeutet. Das ist aktuell fast schon ein geläufiges Vorgehen, das jede Buchkalkulation unwägbar macht und jede finanzielle Jahresplanung zu einem großen Fragezeichen.
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MP: Du setzt darauf, dass sich die Papierpreise mittelfristig wieder stabilisieren. Garantieren kann das zurzeit niemand. Welche Pläne habt ihr, falls sich die Lage in Folge von Papier- und Energiekrise nicht normalisiert? Sind weitere Crowdfunding-Kampagnen denkbar?
Dirk: Ich kann mir nicht vorstellen, so eine Crowdfunding-Kampagne in absehbarer Zeit zu wiederholen. Auf die große Solidarität und Großzügigkeit unserer Leser:innen und unserer Zeichner:innen aus dem In- und Ausland möchte ich nicht noch einmal bauen. Wir werden sehen, wie wir weiter über die Runden kommen.
MP: Müssen Fans in Zukunft gegebenenfalls Einsparungen bei der Aufmachung oder Preiserhöhungen zwischen den Bänden einer Serie befürchten?
Dirk: Generell werden von den Verlagen die Preiserhöhungen der Papierhersteller und Druckereien an die Leser:innen weitergegeben, das ist sicher nur eine Frage der Zeit. Wir versuchen es zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern.
MP: Mehrere Crowdfunding-Kampagnen könnten zu einer gewissen „Spendenmüdigkeit“ führen. Wäre es stattdessen eine Option für euch, doch in den Mainstream-Markt einzusteigen und damit eure Zielgruppe zu erweitern?
Dirk: In den Manga-Mainstream? Und damit in Konkurrenz zu Carlsen, Egmont, TOKYOPOP, altraverse und KAZÉ zu treten? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir würden eher versuchen, unsere Kindercomics und unser Young-Adults-Programm auszubauen.
SÔIN GYOKUSAI SEYO! © 2019 Mizuki Productions | Muno no hito • Hi no Tawamure by Yoshiharu Tsuge © Yoshiharu Tsuge 1998 / SHINCHOSHA Publishing Co., Ltd.
MP: Du hast in der Vergangenheit betont, dass dir, obgleich nicht finanziell vielversprechend, vor allem Werke aus dem Garo-Magazin und in dessen Tradition entstandene Geschichten wichtig sind. Welche Gründe hat das? Was spricht dich persönlich an diesen Veröffentlichungen an?
Dirk: Mich sprechen Zeichenstil und Inhalte an. In meinen Augen haben Shigeru Mizuki, Yoshiharu Tsuge, Yoshihiro Tatsumi, Susumu Katsumata und andere in ihren Gekiga eine ganz eigene Bildsprache ins Leben gerufen, die wenig mit dem zu tun hat, was wir hierzulande als Manga-Mainstream kennen. In ihren Comics setzen sie vor allem die Alltäglichkeiten des Lebens in Szene, zeigen eine große Beobachtungsgabe, was das menschliche Verhalten betrifft, und werden so an manchen Stellen berührend und wahrhaftig. Für mich entwickelt ihre Art zu Erzählen eine große Schönheit und Poesie.
Es ist sicher auch eine Frage des Lesealters, aber mich sprechen schon immer eher autobiografische Stoffe an, die etwas über die Lebenserfahrung und die -einstellung der Zeichner:innen verraten und uns ihre Kultur nahebringen. Das gilt für die westlichen wie für die asiatischen Zeichner:innen, die wir verlegen.
PING PONG by Taiyo MATSUMOTO © 1996 Taiyo MATSUMOTO / SHOGAKUKAN.
MP: Ihr startet bald mit der Veröffentlichung von Taiyo Matsumotos Ping Pong. Sein GoGo Monster-Einzelband ist hierzulande mit Schuber beziehungsweise einer Kartonage erschienen. Wird es zu dem genannten Werk (oder anderen Manga-Titeln) bei euch in absehbarer Zeit weitere Boxen oder Extras in der Aufmachung geben?
Dirk: Nein, das ist zumindest vorerst nicht in Planung.
MP: Nach Roter Schnee habt ihr nun auch Susumu Katsumatas Teufelsfisch lizenziert. Warum habt ihr euch dafür entschieden, diesen Kurzgeschichten-Einzelband ebenfalls nach Deutschland zu holen?
Dirk: Wir betrachten uns als Autorenverlag und daher liegt uns daran, auch von Susumu Katsumata über Roter Schnee hinaus weitere Manga zu bringen. Kuratiert wurde der Band von Mitsuhiro Asakawa, ehemaliger Seirinkogeisha-Redakteur und Herausgeber von AX. Teufelsfisch wird aber wohl der letzte Teil der Werke von Susumu Katsumata sein, den wir veröffentlichen (jedenfalls empfiehlt das Asakawa).
MP: Kannst du uns bereits Details zum Release – wie Veröffentlichungsdatum, Aufmachung und Preis – verraten?
Dirk: Teufelsfisch soll im Frühjahr 2023 erscheinen, Umfang, Format und Preis entsprechen voraussichtlich Roter Schnee.
RED SNOW © Yoshiko Katsumata 2021 | SHINKAIGYO © Yoshiko Katsumata 2022
MP: Bleiben wir noch einen Moment bei Susumu Katsumata: Im Impressum von Roter Schnee findet sich der Hinweis, dass die Übersetzung aus dem Japanischen mit Mitteln des Auswärtigen Amts durch Litprom e. V. – Literaturen der Welt unterstützt wurde. Wie kam es zu dieser Förderung und welche konkreten Vorteile hat das für euch? Erläutere unserer Leserschaft auch gerne, worum es sich dabei überhaupt handelt.
Dirk: Litprom e. V. ist ein literarischer Verein, der sich für die Verbreitung von Literatur aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der Arabischen Welt engagiert. Wir haben bei Litprom eine Übersetzungsförderung für Roter Schnee beantragt und bewilligt bekommen, so wie wir es etwa für französische Stoffe beim Institut français beantragen oder für Comics aus Spanien bei der Acción Cultural Española. Da wir in der Regel Comics für eine kleine Zielgruppe in einer kleinen Auflage produzieren, die sich nicht immer aus sich selbst heraus finanzieren können, beantragen wir, wenn möglich, eine Übersetzungsförderung. Das ist ein geläufiges Vorgehen, gerade bei unabhängigen Belletristik-Verlagen, egal welcher Größenordnung.
Wie umgekehrt das Goethe Institut Übersetzungen von deutschsprachiger Literatur im Ausland fördert, ist vielen Ländern daran gelegen, literarische Werke, die für ihre Sprache und Kultur als herausragend gelten, auch in weiteren Sprachen zu etablieren.
GeGeGe no Kitarō © 2022 Mizuki Productions
MP: Vor Kurzem hätte Shigeru Mizuki seinen 100. Geburtstag gefeiert. Sowohl in den USA als auch in Frankreich sind anlässlich dessen verschiedene Projekte in Arbeit. Habt ihr zu diesem Anlass ebenfalls noch etwas geplant?
Dirk: Nein, leider nicht. Wir sind aktuell vollauf damit beschäftigt, Kitaro in zweimonatlichem Rhythmus erscheinen zu lassen. Vielleicht die beste Art und Weise, Shigeru Mizukis runden Geburtstag zu feiern. Wir sind ja im Prinzip gerade erst am Anfang, ihn bei uns überhaupt erstmal bekannt zu machen …
MP: Auch wenn das Jahr noch recht jung ist, lass uns wie immer noch einen kleinen Blick in die Zukunft werfen: Was können (Manga-)Fans im kommenden Jahr von Reprodukt erwarten? Gibt es schon feste Planungen für das Programm 2023, über die du an dieser Stelle etwas verraten oder anteasern kannst?
LOUVRE NO NEKO by Taiyo MATSUMOTO © 2017 Taiyo MATSUMOTO / SHOGAKUKAN.
Dirk: Wir werden voraussichtlich Kitaro mit 13 Bänden zum Abschluss bringen, ebenso Ping Pong mit Band 03 und mit Die Katzen des Louvre eine neue zweibändige Serie von Taiyo Matsumoto starten. Mit Suehiro Maruo geht es sicher auch weiter, aber noch steht nicht fest, mit welchem Titel.
MP: Vielen Dank für deine Zeit. Wir wünschen dir und Reprodukt auch weiterhin alles Gute!
Dirk: Herzlichen Dank!