Gastartikel – Irrtum: „Ich sollte Fehler so gut es geht vermeiden.“
Ich bin HasiAnn, selbstständige Mangaka, führe seit 2015 einen Indie-Verlag namens Kaskanditha und habe die Manga-Serie Fourth Instance in zwei Staffeln mit 16 Bänden veröffentlicht. Ich sehe häufig, wie sich junge Mangaka, Comic-Artists, Cosplayer oder Storywriter völlig fertig machen, wenn sie Fehler machen oder wegen ihr Angst, Fehler zu machen, sich vieles nicht trauen. In meinem Ratgeber 24 Irrtümer – denen selbstständige Kunst-Rookies♥ auf den Leim gehen habe ich in einem Kapitel genau diesen Irrtum, dass man Fehler vermeiden sollte, aufgegriffen. Ich erkläre euch jetzt mal genau, warum es absolut Quatsch ist, Fehler vermeiden zu wollen oder gar zu denken, Fehler seien etwas schlechtes.
Wenn ich mich mit Künstlerleins unterhalte, die vielleicht gerade erst in die Manga- und Comicszene eingestiegen sind, auf Conventions schon den ein oder anderen Stand hatten, ihre ersten Manga veröffentlicht oder gar schon verkauft haben oder darüber nachdenken, an einem Cosplaywettbewerb oder einer Bühnenshow teilzunehmen, dann höre ich häufig denselben Satz:
„Ich trau mich nicht. Was ist, wenn ich einen Fehler mache?“
Das Selbstvertrauen leidet am meisten unter der Angst vor möglichen Fehlern. So viele wundervolle Manga-Projekte, großartige Illustrationen und wunderschöne Cosplays haben nie das Licht der Öffentlichkeit erreicht, weil die Personen, die dahinter stehen, Angst davor haben, einen Fehler in ihren Werken gemacht zu haben oder bei der Veröffentlichung Fehler zu machen.
© Kaskanditha
Auszug aus 24 Irrtümer – denen selbstständige Kunst-Rookies♥ auf den Leim gehen
Kapitel 18: Ich sollte Fehler so gut es geht vermeiden.
Eines meiner absoluten Lieblingsthemen. Fehler und Scheitern. Es ist ein einfaches Konzept: Mach keine Fehler und du wirst nicht verlieren. Mach keine Fehler und du erfährst keine negativen Konsequenzen. Mach keine Fehler und du wirst nicht bestraft. Mach keine Fehler und du bekommst keine Punkte abgezogen. Mach keine Fehler und du bekommst gute Noten. Mach keine Fehler und alle Türen stehen dir offen. Mach keine Fehler und eine rosige Zukunft ist dir sicher.
Ich erzähl euch mal von einem Ereignis, das mir sehr deutlich vor Augen geführt hat, wie verzerrt die Welt ist, wenn man glaubt, Fehler seien etwas Schlechtes. Ich hatte meiner Mutter vor Kurzem geholfen, den Keller aufzuräumen und dort sind wir über einen ganzen Haufen meiner alten Manga-Zeichnungen von Sailor Moon gestolpert. Die waren alle recht niedlich, aber halt noch sehr unausgereift.
Doch mir ist eine Sache aufgefallen, nämlich, dass alle meine Figuren, die ich gezeichnet hatte, ihre Hände hinter ihrem Rücken versteckten. Ich dachte mir im ersten Moment: „Ja ja, faule HasiAnn, hatte keinen Bock gehabt, zu lernen, wie man Hände zeichnet. So macht man sich das Leben leicht.“
Ich wollte mit dem Gedanken schon abschließen, aber irgendwie ließ er mich nicht in Ruhe. War es wirklich nur Faulheit, die mich dazu brachte, nicht zu versuchen, Hände zu zeichnen?
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Ich dachte noch lange darüber nach und kam letztendlich zu dem Schluss: Nein, ich war nicht faul. Eine ganze Figur mit Kopf, Rumpf und Beinen zu zeichnen war auch nicht mehr oder weniger kompliziert, als Hände zu zeichnen. Warum drückte ich mich dann ausgerechnet vor den Händen? Ganz einfach: Weil ich dachte, würde ich sie zeichnen, würde es einfach nur schlimm und falsch aussehen, also lass ich es lieber gleich. Oder anders ausgedrückt: Ich hatte Angst, Fehler zu machen. Also versuchte ich es gar nicht erst.
Irgendwann traute ich mich dennoch, das Händezeichnen zu lernen und viel zu üben, aber das Gefühl, etwas gar nicht erst zu versuchen, weil man fürchtet, man könnte einen Fehler machen, hat mich auch später noch von vielen Dingen abgehalten, die mir extrem genützt hätten.
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Während meiner Schulzeit bin ich den genau gegenteiligen Weg gegangen. Ich habe versucht, alles immer so richtig wie nur irgend möglich zu machen. Ich habe brav gelernt, alles lieb hingeschrieben, meine Noten dafür gekriegt und das so lange wiederholt, bis ich die Schule verließ. Im Studium das ganze Spiel noch einmal.
Bloß keine Fehler machen! Alles richtig machen! Gute Noten kriegen! Als ich die Bewerbungen für meinen ersten Job anging, trieb ich dieses Heischen nach Fehlerlosigkeit auf die Spitze. Ich besuchte ein Seminar für Berufsanfänger, schrieb brav mit und machte genau das, was der Dozent mir sagte, schrieb Bewerbungen, ließ sie zehn Mal gegenlesen, bis jeder mir bestätigte, dass die Bewerbungen fehlerlos seien.
Soll ich euch sagen, wie viele Absagen gekommen sind? Fünfzig.
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Meine Bewerbungen und meine ganzen Vorbereitungen hatten einen entscheidenden Fehler, den ich von Anfang an übersehen hatte: Der Fehler war zu glauben, dass ich fehlerlos bin. Wie konnte das kommen?
Kleiner Exkurs in die Schulzeit: Man kommt als junger Pöks in die Schule, freut sich seines Lebens, schreibt seine ersten Tests, verhaut die und kriegt schlechte Noten. Was lernt man also als junger Pöks in diesem Moment?
- Alles, was du wissen musst, wird dir gesagt, und wenn du das genauso wiedergibst, dann ist das richtig. Selbst zu denken oder das Gelernte zu hinterfragen, musst du nicht.
- Wenn du einen Fehler machst, wirst du bestraft. Das bedeutet, Fehler sind etwas Schlechtes. Mach keine Fehler.
Wie dämlich ist das?!
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In deiner ganzen Schulzeit wird dir beigebracht, dass dir alles schon zur richtigen Zeit vorgekaut wird und du es nur wiederkäuen musst und so lange du das machst, bist du fehlerlos. Dieses Denken habe ich natürlich ins Studium mitgenommen und so meine Prüfungen und Klausuren absolviert. Genau so habe ich auch meine Bewerbungsgespräche vorbereitet. Ich habe das gemacht, was die Experten mir vorgekaut haben und bin davon ausgegangen, dass das genau die gleiche Wirkung haben wird wie bei Klausuren, Prüfungen und Klassenarbeiten.
Aber das hier ist nicht die Schule. Das ist das wahre Leben. Wir alle wissen mittlerweile nur zu gut, dass die Schule nicht auf das wahre Leben vorbereitet. Diese Einstellung – „Sei fehlerlos, dann wirst du erreichen, was du erreichen willst“ – hat mir den Einstieg in die Selbstständigkeit extrem erschwert.
Ich dachte immer, ich darf keine Fehler machen, sonst scheitere ich brutal und erhole mich nie wieder davon. Jede Entscheidung wurde zur Hürde, an der ich ewig herumgedacht habe, um den bestmöglichen Ausgang zu finden. Wenn es dann nicht geklappt hat, war ich immer am Boden zerstört. Ein Projekt gescheitert. Noch ein Projekt gescheitert. Noch ein Projekt gescheitert. Niederlage nach Niederlage nach Niederlage nach Niederlage. Trotz superguter Vorbereitung und fehlerlosem Verhalten.
Das frustriert extrem. Vor allem, wenn man sich vorgenommen hat, es richtig zu machen. Ich habe es wieder gemacht wie im Studium und in der Schule. Ich habe mich durch Bücher gelesen, Experten gefragt, Weiterbildungen gemacht, ich habe sogar ein Jahr für eine Juniorprofessur für Entrepreneurship gearbeitet, um meine Expertise zu erweitern. Ich habe wirklich versucht, alles zu tun, um keine Fehler zu machen. Trotzdem scheiterte ein Projekt nach dem anderen.
Es gibt einen fundamentalen Irrtum, der auf der Lüge aufbaut, die unser Schulsystem uns jahrelang ins Hirn gedroschen hat: Du darfst keine Fehler machen. Das ist das Schlimmste, das man denken kann, wenn man Writer, Mangaka, Comic-Artist oder Cosplayer ist. Denn hier ist die simple Wahrheit: Fehler führen nicht zu Erfolglosigkeit und Fehlerlosigkeit führt nicht zum Erfolg. Fehler führen zu Erfahrung und Erfahrung führt zum Erfolg.
Ergo: Fehler führen zum Erfolg!
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Viele denken immer, die richtig guten und geskillten Leute werden mit Talent geboren und kommen nur auf diese Art schnell ans Ziel ihrer Träume. Neeeeee. Ganz anders!
Die richtig guten Leute machen Fehler nach Fehler nach Fehler nach Fehler, genauso wie „normale“ Leute. Der Unterschied zwischen geskillten Leuten und „normalen“ Leuten ist, dass geskillte Leute nicht aufgeben. Sie glauben nicht, dass Fehler zu machen automatisch bedeutet, dass man es auch gleich lassen kann.
Sie lernen stattdessen aus ihren Fehlern und ihrem Scheitern und versuchen es einfach noch einmal. Ihnen ist völlig klar, dass auch ihr nächster Versuch wieder fehlerhaft ist und scheitern wird. Aber ihnen ist ebenso klar, dass sie dadurch wieder etwas Neues lernen werden, sodass sie es beim nächsten Mal besser machen können. Sie werden auch danach wieder Fehler machen, um erneut daraus zu lernen und es in der Zukunft noch besser machen – und wieder Fehler machen und wieder lernen und es wieder besser machen. Repeat until success.
Diesem ganzen Geplänkel liegt ein sehr einfaches Prinzip zugrunde, das Kinder, bevor sie in die Schule kommen, wahnsinnig gut verinnerlicht haben:
Wie lernt man Laufen? Indem man aufsteht und hinfällt, aufsteht und hinfällt, aufsteht und hinfällt. Repeat until Laufen. Wie lernt man sprechen? Indem man zuhört und brabbelt, zuhört und brabbelt, zuhört und brabbelt. Repeat until Sprechen. Wie lernt man Zeichnen? Indem man beobachtet und zeichnet, beobachtet und zeichnet, beobachtet und zeichnet. Repeat until sieht gut aus.
Wie soll die Sache denn auch anders funktionieren? Ein kleines Kind versucht schließlich nicht zu laufen, stolpert, fällt hin und denkt auf einmal „Ich kann’s ja eigentlich gar nicht und werde ab jetzt nur noch stolpern, also kann ich es auch gleich sein lassen.“ Fehler führen zum Scheitern, das führt zum Lernen, das führt zu einem neuen Versuch und das führt wiederum dazu, dass man es besser macht als vorher.
Die Bottomline ist, dass ihr nicht nur nicht krampfhaft versuchen solltet, Fehler zu vermeiden. Ihr solltet im Gegenteil sogar auf Fehler hinarbeiten. Ihr solltet Fehler willkommen heißen. Ihr solltet euch freuen, wenn ihr Fehler findet. Wenn ihr keine Ahnung von irgendwas habt, macht es einfach. Hinterher seid ihr schlauer und das ist der einzig richtige Weg zu Erfahrung. Oder wie ein weises Meme einst sagte:
JUST DO IT!!!
© Kaskanditha
Als ich mich letztendlich dazu entschied, beim Zeichnen die Hände nicht mehr hinterm Rücken meiner Figuren zu verstecken und das erste Mal eine Hand wirklich frei zeichnete, sah die aus wie Kraut und Rüben. Selbst heute noch suche ich öfter nach Referenzen, weil ich beim Zeichnen von Händen immer wieder Fehler mache. Der Unterschied ist nur, wenn ich heute Fehler mache, dann schaue ich sie an und lerne aus ihnen, sodass ich es beim nächsten Mal besser machen kann.
Ich hoffe, dieser kleine Auszug aus meinem Buch 24 Irrtümer – denen selbstständige Kunst-Rookies♥ auf den Leim gehen hat euch ein klein wenig geholfen und euch Mut gemacht, euren Weg zu gehen.
In einem Livestream habe ich das Kapitel vorgelesen und hinterher mit meiner Community über dieses Thema diskutiert. Wer Lust hat, kann sich die Aufnahme gerne ansehen.
Wer noch weiter ins Buch schnuppern will, kann hier eine Leseprobe lesen und hier das Buch kaufen. Ich wünsche allen Künstlerleins da draußen viel Erfolg auf ihrem Lebensweg. <3
HasiAnn