Interview mit Yuhta Nishio – Mangaka von „Smalltown Girls“
Zum Deutschland-Start von Smalltown Girls (jap.: Mizuno to Chayama) durften wir mit Mangaka Yuhta Nishio ein umfangreiches Interview über die Entstehung des Werkes und seine Arbeit als Mangaka führen.
Wir möchten uns sowohl bei Egmont Manga für die Gelegenheit als auch bei dem japanischen Verlag KADOKAWA, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem auch Nishio-sensei selbst. Nachfolgend werden wir Yuhta Nishio mit Nishio-sensei und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Nishio-sensei und vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview mit uns nehmen.
MP: Woher stammt Ihre Inspiration für Smalltown Girls?
Nishio-sensei: Das geht auf die Zeit zurück, als ich an meinem vorherigen Werk After Hours gearbeitet habe. Ich saß in der örtlichen Bibliothek am Storyboard, als mir ein kleiner Beitrag in einer älteren Ausgabe der Lokalzeitung ins Auge sprang. Dort stand: „Der auf den Teeplantagen verwendete Kompost sickert durch und verschmutzt die Flüsse.“ Malerisches Grün und klares Wasser. Es entstand eine Komposition, bei der man den Eindruck hat, dass beides in der ländlichen Szenerie nebeneinander zu existieren scheint, aber in Wirklichkeit dringt das eine in das andere menschengemacht durch die Industrie ein. Dieses Thema fand ich sehr faszinierend.
Außerdem erlebte die Welt zu dieser Zeit eine Welle der Spaltung und des Populismus, kurz bevor die Trump-Regierung in den USA an die Macht kam. Ich lebe in einer konservativen Provinzstadt. Da sah ich plötzlich eine Überschneidung zwischen dem Rust Belt* und meiner Stadt.
Aus diesen Teilen ergibt sich der Konflikt eines rechtspopulistischen Lokalpolitikers und eines linksliberalen Managers. Die Geschichte von Romeo und Julia, gefangen in ihren jeweiligen Lagern. So entstand der Kern von Smalltown Girls**.
*Anmerkung der Redaktion: Rust Belt („Rostgürtel“) ist ein Begriff für die größte Industrieregion in den USA. Donald Trumps Wahlsieg war vor allem auf die Stimmen aus dieser Region zurückzuführen.
**Anmerkung der Redaktion: Im japanischen heißt der Manga Mizuno to Chayama, übersetzt ins Deutsche: Mizuno und Chayama.
MP: Was ging Ihnen beim Zeichnen der Serie am leichtesten von der Hand und hat Ihnen am meisten Spaß bereitet? Was war hingegen zeitaufwändiger?
Nishio-sensei: Am einfachsten fiel mir, dass ich nicht jedes Mal an die Kleidung der Figuren denken musste, da die Geschichte grundsätzlich in der Schule spielt. Dass ich bei After Hours den Figuren in jedem Kapitel andere Outfits verpasst habe, hat mich jeweils einen Tag lang gekostet, sie zu kreieren. Jetzt durchlebe ich den gleichen Schmerz mit Shimokitazawa Backyard Story (lacht).
Am meisten Spaß macht der Moment, in dem ich das Gefühl habe, dass das Bild in meinem Kopf mit der tatsächlichen Zeichnung übereinstimmt. Das passiert aber nicht sehr oft …
Was Zeit in Anspruch nahm, war die Herausforderung, neue Designs auszuprobieren. Aufgrund der Probleme, mit denen die Mädchen konfrontiert sind, war es notwendig, ihnen komplexere und mehrdeutigere Ausdrücke zu geben als in meinem vorherigen Werk. Das Zeichnen war ein stetiges Herantasten. Außerdem habe ich zwar erwähnt, dass ich mir keine Gedanken über die Kleidung machen musste, weil die Geschichte in der Schule spielt, aber das perspektivische Zeichnen einer Reihe von Schulbänken war eine simple und dennoch schwierige Aufgabe.
MP: Wie sind Sie bei der Konzeption Ihrer Figuren vorgegangen? Stand für Sie zuerst die Persönlichkeit oder das Design fest? Haben Mizuno und Chayama gegebenenfalls reale Vorbilder, von denen Sie uns berichten können?
Nishio-sensei: Ich beginne mit der Arbeit an Manga, nachdem ich im Voraus grob die Handlung für die gesamte Geschichte erstellt habe. Also habe ich auch bei Smalltown Girls zuerst mit dem inneren Kern begonnen. Was das Design der Charaktere angeht, so tragen sie alle die gleiche Schuluniform. Deshalb habe ich darauf geachtet, sie durch ihre Frisuren zu unterscheiden. Während sich Mizuno lässig kleidet, bringt Chayama ihre Gefühle zum Ausdruck, indem sie ihre Kleidung so trägt, als wäre sie darin eingesperrt.
Mizuno hat kein bestimmtes Vorbild, aber bei Chayama habe ich ein bisschen die Freundin eines befreundeten Musikers, der in den USA lebt, als Referenz herangezogen. Ich glaube, dass sie zu einer reizenden Heldin geworden ist, die nicht allein aus meinem Inneren heraus entstanden wäre.
MP: Sie arbeiten viel im Girls-Love-Bereich, mit ihrer aktuellen Serie Shimokitazawa Backyard Story gehen Sie aber einen etwas anderen Weg. Kam diese Entscheidung spontan oder war diese Serie schon länger ein Wunschprojekt von Ihnen?
Nishio-sensei: Um die Handlung von Shimokitazawa Backyard Story kurz zu erläutern: Der Protagonist, der einen Secondhand-Klamottenladen betreibt, zieht sich eines Tages den Ärger seiner Lebensgefährtin zu und sie läuft von zu Hause weg. Er weiß jedoch nicht, was er getan hat, um sie zu verärgern. Auch sein Geschäft läuft miserabel. Trotzdem versucht er verzweifelt irgendwie nach Anhaltspunkten zu suchen …
Nach Smalltown Girls hatte ich eine Zeit lang kein Thema zum Zeichnen gefunden. Die Grundidee für Shimokitazawa Backyard Story kam mir durch meine langjährige Erfahrung im Einzelhandel, bevor ich Mangaka wurde. Wahrscheinlich war der männliche Protagonist die richtige Wahl, um meine persönlichen Erfahrungen widerzuspiegeln.
Wenn ich so zurückblicke, taucht in einer Vielzahl meiner Werke ein jämmerlicher und schlampiger männlicher Charakter auf. Das ist wahrscheinlich eine andere schriftstellerische Eigentümlichkeit von mir. Ursprünglich dachte ich an eine Situationskomik mit einer Pointe in jedem Kapitel. Aber auf Anraten meines zuständigen Redakteurs wurde das Werk so, wie es jetzt ist.
MP: Haben Sie zum Abschluss noch ein paar Worte an ihre deutschsprachigen Fans?
Nishio-sensei: Nach After Hours freue ich mich sehr, dass mit Smalltown Girls mein zweites Werk von Euch in Deutschland gelesen werden kann. Im Gegensatz zum vorherigen Werk ist dies ein ernstes und provinzielles Werk, aber gleichzeitig denke ich, dass es ein Manga ist, der sich mit authentischen und universellen Themen beschäftigt. Ich würde mich freuen, wenn er Euch gefällt. Eines Tages möchte ich gerne mit eigenen Augen sehen, wie meine Werke in einer deutschen Buchhandlung stehen (und auch die Berliner Nachtclubs)!
MP: Vielen Dank für das Interview.