Gastartikel: Wie man einen eigenen Manga in Eigenregie auf die Beine stellt
Ihr seid Mangaka oder wollt es werden, habt einen Stift in der Hand und seid bereit, einen Manga zu zeichnen und zu veröffentlichen. Eine grundlegende Idee habt ihr im Kopf, es soll um Zombie-Vampire gehen, die einen epischen Kampf mit Elfen-Cowboys auf das Mond haben. Vor euch liegt ein weißes Blatt Papier und in der Ferne hört ihr das Ticken einer Uhr. Es kann losgehen.
Nun stellt sich eine wichtige Frage: Wie sollt ihr anfangen? Mit dem Kopf? Mit dem Paneling? Mit den Dialogen? Mit der Skizze? Mit dem Konzept? Mit dem ersten Satz? Mit der Einleitung? Mit einer Übersicht?
Hm.
Viele Mangaka-Rookies (Mangaka, die gerade erst am Anfang ihres Schaffens stehen) machen den Fehler, eine gute Idee für eine Story mit einem ganzen Plan der Umsetzung zu verwechseln. Eine gute Idee ist ein prima Anfang, aber die Umsetzung verlangt ein wenig mehr, als eine gute Idee.
Wer viel Geld hat, holt sich einen Writer, der die Story schreibt, einen Künstler, der das Concept Art und Storyboard entwirft, Assistenten, die Hintergründe und Details zeichnen, einen Layouter, der das Buch zusammenstellt, einen Lektor, der das Buch korrigiert, einen Agenten, der das Buch in einem Verlag unterbringt und einen Marketer, der das Buch bewirbt. Easy as that.
Die meisten von uns haben aber keine hunderttausend Euro auf der hohen Kante, die sie mal eben für ein Publishing-Team ausgeben können. Mangaka-Rookies und Indie-Mangka (selbstständige Mangaka, die nicht im Auftrag eines Verlages zeichnen) machen daher meist die ganze Arbeit von der ersten Idee bis zum fertigen verkaufbaren Produkt selbst.
Aber wie? Und wo fängt man an?
Ich bin HasiAnn, die Zeichnerin der mittlerweile 21-bändigen Mangaserie Fourth Instance in drei Staffeln. Seit Band 01 mache ich – wie fast alle Indie-Mangaka – die ganze Arbeit selbst. Jeden einzelnen Schritt bewältige ich allein (bis auf das Korrektorat natürlich, aber dazu später mehr). Das ist dem einfachen Grund geschuldet, dass mir das nötige Geld für ein Kreativ-und-Publishing-Team fehlt, wie euch vermutlich auch. Daher möchte erklären, wie ich meine Manga-Storys plane und umsetze.
Disclaimer 1: Das hier ist keine Eins-zu-ein-Anleitung wie man einen Manga zeichnet und produziert. Jeder einzelne Punkt, den ich anspreche, wäre genug Material, um ein eigenes Buch zu füllen. Stellt euch also bitte nicht vor, dass es so einfach ist, wie ich es hier beschreibe. Es soll euch nur eine Idee geben, bei der ihr ansetzen könnt, um weiter in die Tiefe zu gehen.
Disclaimer 2: Die Vorgehensweise, die ich hier vorstelle, ist NICHT die von großen Verlagen, Agenturen, Lektoren oder anderen Publishern. Es ist ledigliche meine Vorgehensweise, die bei mir funktioniert hat und von der ich denke, dass sie anderen Indie-Mangaka und Mangaka-Rookies, die gerade in die Szene einsteigen, einen guten Anstoß geben könnte.
1. Die Idee
Ich gehe mal davon aus, dass alle von euch eine grundlegende Idee im Kopf haben, wovon euer Manga handeln soll. Solche Ideen entstehen meistens dann, wenn man von irgendwas inspiriert wird, ein Film, ein Song, eine Serie, eine bestimmte Szene, ein dummer Spruch oder ein plötzlicher Einfall auf dem Klo. Wie man Inspiration bekommen kann, habe ich in diesem Video kurz angerissen. Einen Tipp kann ich aber jetzt schon geben: Als ich an der dritten Staffel von Fourth Instance gearbeitet habe, habe ich über einen sehr langen Zeitraum – als ich noch an der zweiten Staffel arbeitete – alle Ideen gesammelt, die mir eingefallen sind.
Alles, was an Ideen plötzlich im Kopf aufploppte, habe ich in eine Liste geschrieben. Als es dann an die Arbeit zu Staffel drei ging, musste ich nicht auf die schnelle eine Idee zusammenschustern, sondern ich hatte eine ganze Liste an Ideen, aus denen ich nur die beste auswählen musste. Wenn ihr also dazu neigt, unter Druck keine Idee zu haben, dann fangt mit der Ideenfindung so früh wie möglich an. Wann immer euch eine gute Idee kommt, schreibt sie in eine Liste. Wenn die Liste lang genug ist, sucht euch die Idee aus, über die ihr einen Manga zeichnen wollt.
2. Der Plot
Viele Mangaka-Rookies fangen jetzt an, den Manga zu zeichnen, sobald sie die Idee haben. Inklusive mir. So habe ich früher meine Manga-Projekte immer begonnen. Gute Idee. Seite eins. Los geht’s. Was daraus aber wurde, war ein wüstes Chaos von Plotholes, Logikfehlern und abgebrochenen Kapiteln, weil ich nicht wusste, wie die Story weitergeht. Denn es fehlte der Plot. Der Plot ist sowas wie die komplette Story, die ihr erzählen möchtet, in Kurzform. Einen Plot entwirft man meist in drei Akten (nicht immer, aber so mache ich es und das funktioniert für mich am besten). Jeder Akt hat eine wichtige Funktion. Akt eins führt die Charaktere und die Welt ein. Akt 2.1 führt das Problem, den Antagonisten und den Hauptkonflikt ein. Akt 2.2 treibt den Protagonisten zu einer unumkehrbaren Entscheidung. Der dritte Akt ist der Showdown, die Lösung des Konfliktes und die Rückkehr in den Alltag. Das ist jetzt wirklich, WIRKLICH grob zusammengefasst, was in den einzelnen Akten passiert. Es gibt noch viel detailliertere Erklärungen dazu, aber so in etwa sollte euer Plot aufgebaut sein.
3. Das Manuskript und die Charaktere
Auch wenn der Plot steht, heißt das noch immer nicht, dass jetzt mit dem Zeichnen begonnen werden kann beziehungsweise sollte. Ihr wisst jetzt zwar, wie eure Story gebaut ist, aber ihr wisst noch nicht, was eure Charaktere im Einzelnen sagen und genau tun. Das haltet ihr im Manuskript fest. Normalerweise schreibt man ein Manuskript – oder kurz Skript – in Romanform, aber bei Comic und Manga ist es sinniger, das Skript wie ein Drehbuch in Dialogform zu schreiben. Das Skript ist eine Reinschrift dessen, was genau die Figuren sagen und tun. Im Skript stehen alle Dialoge und alle Handlungen so exakt wie möglich. Gleichzeitig zum Skript entwickle ich auch die Charaktere. Ich lege mir eine Liste mit den Charakteren an, die in meiner Story handeln sollen, und baue sie nach einem bestimmten Rezept zusammen. Die Skriptentwicklung und die Charaktererstellung gehen immer Hand in Hand. Ich kann nicht erst das eine und dann das andere schreiben. Manche Writer können das. Ich kann es nicht. Ich schreibe immer ein Stück Skript, baue einen Charakter, passe das Skript an, verändere den Charakter, schreibe weiter am Skript, überarbeite den Charakter und so weiter. Es ist ein Hin und Her zwischen den beiden, bis die Handlung des Skripts genau zu den Eigenschaften des Charakters passt.
Ich habe über die Charaktererstellung bereits ein ganzes Buch geschrieben. Darin beschreibe ich Charaktererstellung nicht im klassischen Sinne: Name, Alter, Geschlecht, Beruf, etc., sondern ich gebe eine Schritt-Für-Schritt-Anleitung, wie ihr einen Charakter sinnig, glaubwürdig und interessant bauen könnt, ohne dafür ein Supergenie in der Charaktererstellung à la George R. R. Martin zu sein. Das Buch erscheint im Juli 2023. Wer daran Interesse hat, kann sich für meinen Newsletter anmelden (der erscheint nur viermal im Jahr, keine Sorge, das ist kein Werbe-Spam oder so) und wird direkt erinnert, sobald das Buch fertig ist.
4. Die Kapiteleinteilung
Wenn das Skript steht, könnt ihr in etwa abschätzen, wie viele Seiten oder gar Bände ihr zeichnen werdet. Mangaka-Rookies, die wirklich gerade erst einsteigen, würde ich ganz ehrlich zu seinem Oneshot raten, also einem Einzelband mit einer abgeschlossenen Geschichte. Ihr müsst es ja nicht gleich so übertreiben, wie ich, und eine Mangareihe mit über 20 Bänden in drei Staffeln zeichnen. Fangt klein an, um die Techniken zu üben und neues Gewässer auszutesten. Legt dafür fest, wie viele Kapitel (oder auch Bände) ihr zeichnen möchtet und verteilt dann das Skript gleichmäßig über diese Kapitel.
Jedes Kapitel und jeder Band sollte mit einer abgeschlossenen Szenen-Einheit enden. Ihr solltet ein Kapitel nicht direkt in der Szene unterbrechen. Ich habe zum Einteilen der Kapitel eine ganze eigene Technik: Ich drucke das komplette Skript in sehr kleiner Schrift aus und schneide es in gleichgroße Stücke, die ich dann gleichmäßig in die Kapitel und Bände verteile. Ich brauche immer was Haptisches, sonst ist mein komisches Hirn verwirrt.
5. Das Storyboard
Wenn ihr jetzt wisst, wie sich euer Skript über die Kapitel verteilt, könntet ihr rein theoretisch schon mit dem Zeichnen anfangen. Ich würde aber immer dazu raten, trotzdem ein Storyboard zu zeichnen. Ein Storyboard ist quasi der fertige Manga in klein, schnell und hässlich. Im Storyboard legt ihr die Seitenaufteilung fest. Wie viele Panel kommen auf eine Seite, wo werden die Panel platziert, wo kommen die Sprechenblasen hin, wo werden die Figuren hingestellt, welche Panel brauchen Hintergrund, welche Perspektiven und Dynamiken kriegen die Panel, welche Posen nehmen die Figuren ein, welcher Bildausschnitt ist zu sehen? Und so weiter. Das Storyboard ist ein genauer Fahrplan, wie ihr später eure Manga zeichnet.
Man kann auf diesen Schritt verzichten, aber ich würde wirklich raten, ihn trotzdem zu machen. Ich habe in früheren Mangaprojekten gern drauf verzichtet und entsprechend durcheinander und unüberlegt war die Komposition von Panels auf einer Seite. Der Inhalt kommt zwar noch rüber, aber ich finde immer, dass das Publikum merkt, wenn man sich über die Panel-Aufteilung und Seitenkomposition keine Gedanken gemacht hat.
6. Das Concept Art
Das Concept Art – oder die Konzeptzeichnungen – umfasst alle Designs, die für euren Manga wichtig sind. Am bekanntesten ist das Character Design, also wie ein Charakter aussieht, was er anhat, seine komplette äußere Erscheinung, außerdem alle weiteren Outfits, die der Charakter tragen wird, inklusive aller Variationen davon, beispielsweise wenn die Kleidung im Laufe der Geschichte immer zerrissener und schmutziger wird.
Zum Concept Art gehört auch eine Ausarbeitung jedes einzelnen Schauplatzes, an dem die Story spielt: jedes Haus, jedes Zimmer, jeder öffentliche Platz, jeder Wald. Und es gehört das Design jedes relevanten Gegenstandes dazu, den Charaktere besitzen, benutzen, finden oder damit auf andere Art interagieren.
Das Concept Art sollte so detailreich wie möglich und aus möglichst vielen Blickwinkeln gezeichnet werden. Das ist ein Schritt, den ihr nicht zwangsweise vorher machen müsst (es sei denn, ihr arbeitet in einem Team). Ihr könnt Designs, Orte oder Gegenstände auch entwerfen, wenn ihr bei der Reinzeichnung an der entsprechenden Stelle ankommt, wo das Concept Art relevant wird. Ich würde aber dazu raten, es vorher zu machen. Das ist wie beim Storyboard. Je mehr man vorher vorbereitet und schon genau weiß, was und wie man es machen will, um so runder und durchdachter wirkt es dann in der finalen Fassung.
7. Zeichnen
Storyboard ist da, Konzepte stehen – los geht’s mit der eigentlich Arbeit am Manga. Dazu gibt es nicht viel zu sagen. Ich gehe einfach mal davon aus, dass ich Zeichentechniken nicht erklären muss. Bedient euch dem Medium eurer Wahl und arbeitet fleißig, kontinuierlich und diszipliniert.
8. Texten
Fürs Texten – also das Einfügen vom Dialog-Text aus dem Skript in den Manga – ist es nötig, die fertigen Mangaseiten einzuscannen (sofern ihr analog, also mit Tinte auf Papier, gezeichnet habt). Die Auflösung sollte mindestens 600dpi betragen, besser wären 1200dpi. Je höher die Auflösung ist, um so knackiger sieht es später im gedruckten Buch aus. Die Scans sollten dabei alle im Schwarz-Weiß-Farbraum gemacht werden. Was genau das ist und was das alles bedeutet, ist genug für einen anderen Artikel. Merkt euch nur, irgendwo beim Einscannen solltet ihr 600dpi und Schwarz-Weiß einstellen können.
Die eingescannten Seiten ladet ihr in eine Software, mit der ihr die Texte einfügen könnt. Es gibt spezielle Software, die direkt für solche Zwecke geeignet ist, zum Beispiel Manga Studio. Die ist entsprechend teuer. Wir befinden uns aber momentan noch im Mangaka-Rookie-Land und da ist Geld immer so eine Sache. Ich empfehle für Mangaka-Rookies GIMP oder Krita. Das sind gute Zeichen- und Bildbearbeitungsprogramme und reichen für den Einstieg völlig aus.
9. Layout und Cover
Ihr habt sicher schon einmal durch einen Manga geblättert. Der besteht nicht nur aus den eigentlichen Manga-Seiten. Hinzukommen viele weitere Seiten, die ebenfalls gezeichnet oder anderweitig erstellt werden müssen. Angefangen mit dem Cover, das Deckblatt des Mangas, wenn man so will. Das ist das Aushängeschild, das, was das Publikum als erstes sieht, wenn es den Manga in die Hand nimmt. Wie ihr das Cover gestaltet, ist ganz euch überlassen. Wichtig ist nur, dass bei der dafür gezeichneten Illustration am Ende noch genug Platz für den Titel ist.
Zum Layout gehören darüber hinaus noch eine Menge Innenseiten. Die sind von Manga zu Manga unterschiedlich. Manche Mangaka stellen auf einer Seite ihre Charaktere vor, haben dort kleine Übersichten und Steckbriefe. Andere stellen sich selbst als Mangaka vor, was sie schon gezeichnet haben oder wie lange sie schon zeichnen – so etwas wie eine kleine Biographie. Manche schreiben eine Seite mit Widmungen und Danksagungen. Manche erstellen ein Inhaltsverzeichnis mit den einzelnen Kapiteln. Manche zeichnen für jedes einzelne Kapitel ein kleines Kapitel-Cover. Ihr könnt euer Buch mit so vielen zusätzlichen Seiten füllen, wie ihr möchtet.
Übertreibt es damit nur nicht allzu sehr, denn letztendlich will das Publikum eure Manga-Geschichte lesen und keine Autobiographie über euer Leben und Wirken. Was ein Manga aber immer haben sollte, ist ein Impressum. Das ist ein kleiner Text auf einer zusätzlichen Seite am Ende oder am Anfang eures Manga, in dem steht, von wem der Manga ist, wer alles daran mitgearbeitet hat, wann und wo der Manga erschienen ist. Der Manga schließt mit der Rückseite vom Umschlag, also dem Gegenstück vom Cover quasi. Dort befindet sich häufig der Klappentext, eine kleine Zusammenfassung vom Inhalt, die aber noch nicht zu viel verrät.
10. Die Korrektur
Wie bereits erwähnt, befinden wir uns im Mangaka-Rookie-Land und sich einen professionellen Lektor ranzuholen ist, angesichts begrenzter Geldmittel, eher unwahrscheinlich. Ich würde dennoch dringend dazu raten, euer Werk von Freunden oder Familienmitgliedern gegenlesen zu lassen.
Gebt ihnen euren Manga und lasst sie mal „drüberlesen“ und alle Rechtschreibfehler ankreuzen. Das ist natürlich nicht mit einem professionellen Korrektorat oder Lektorat zu vergleichen, aber es ist tausendfach besser nur noch zehn anstatt einhundert Tippfehler im Endprodukt zu haben.
11. Der Druck
Man könnte sich jetzt mit dem eigenen Drucker hinsetzen, jede einzelne Seite ausdrucken und das dann alles eigenhändig binden. Das ist aber super unpraktisch, selbst für Mangaka-Rookies. Wendet euch dafür an eine Druckerei eures Vertrauens. Beliebte Online-Druckereien sind Druck.biz, Vistaprint oder Wirmachendruck. Es gibt aber auch noch anderen gute Druckereien. Hört euch einfach um, vergleicht Preise, schaut euch die Qualität an und lasst dann euren Manga drucken.
Die gute Nachricht ist: Yeah! Ihr habt es geschafft, euer Manga ist fertig und steht eurem Publikum nun zur Verfügung.
Die schlechte Nachricht: Das war nur die erste Hälfte der Arbeit. Jetzt kommt die zweite. Euer Manga ist fertig. Und was jetzt? Aus dem Fenster werfen und hoffen, dass ihn jemand fängt und liest? Nein! Jetzt geht’s ans Marketing. Wie zeigt ihr euren Manga? Wie macht ihr auf ihn aufmerksam? Wie findet euer Wunschpublikum euren Manga? Wie funktioniert Marketing? Wie funktioniert das Verkaufen? Wie funktioniert die Finanzierung von alledem? Fragen über Fragen. Doch das ist definitiv Holz für einen anderen Artikel …
HasiAnn