Interview mit Sui Ishida – Mangaka von „Choujin X“ und „Tokyo Ghoul“
Passend zum Deutschland-Start von Choujin X haben wir gemeinsam mit anderen Medien ein Interview mit Mangaka Sui Ishida führen dürfen. Dabei waren anderem die Entstehung von Choujin X sowie sein Erfolgshit Tokyo Ghoul Thema.
Wir möchten uns sowohl bei Crunchyroll für die Gelegenheit als auch bei dem japanischen Verlag Shueisha, der das Interview genehmigt hat, herzlich bedanken. Unser großer Dank für die Beantwortung der Fragen und die damit verbundene Zeit gilt zudem auch Mangaka Sui Ishida selbst. Nachfolgend werden wir Sui Ishida mit Ishida-sensei und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Ishida-sensei und vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen nehmen.
MP: In Ihrem aktuellen Werk Choujin X erschaffen Sie erneut eine Welt, in deren Schatten eine geheime Gesellschaft übermenschlicher Wesen existiert. Können Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte dieser Welt erzählen? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, und nach welchen Kriterien haben Sie die Welt von Choujin X geschaffen?
Ishida-sensei: Es ist eine subtile Nuance, aber die Geheimgesellschaft in Choujin X (es geht um Yamato Mori, richtig?) ist keine, die vollständig im Schatten agiert, sondern wie eine Geheimgesellschaft, die nur mit einem Bein im Schatten steht. Was den Schauplatz angeht, so war Tokyo Ghoul eine ziemlich restriktive Welt, also wollte ich etwas mit einem lockereren Rahmen schreiben.
Einfache Superhelden und eine Organisation, wie sie häufig vorkommt. Ich dachte, wenn ich die Mindestelemente für die Geschichte habe, könnte ich einfach zeichnen und meinen eigenen Stil mitgeben.
Dann wollte ich Dinge einführen, die vertraut, aber irgendwie ungewöhnlich sind, und habe die Welt so gestaltet, dass sie der Realität sehr nahekommt. Außerdem habe ich nach meinem Geschmack ein wenig Retro-Atmosphäre ergänzt.
Was noch? Ich habe mir vorgestellt, dass in dieser Welt das linguistische System durchbrochen ist und dass viele verschiedene Völker in einem großen Land leben (das eigentlich als zerbrochenes nationales System aufgebaut ist). Sie sprechen eine gemeinsame Sprache. Obwohl es also verschiedene Spezies mit unterschiedlichen Wurzeln gibt, gibt es weder ein X-Volk noch eine Y-Spezies. Es wird nur zwischen Menschen und Choujin unterschieden. In der Geschichte kommt auch die erhalten gebliebene Historie über die verschiedenen Sprachen vor, denn ich wollte auf jeden Fall alles Mögliche der Kulturen der einzelnen Länder verwenden. Die Menschheit existiert als eine große Familie. Es ist schwer zu erklären, warum ich das so entschieden habe, da es eher ein Empfinden ist. Aber ich fand es besser so.
MP: Wie Tokio Kurohara lernen wir als Leser die Welt von Choujin X erst allmählich genauer kennen, wobei jedes Kapitel neue Charaktere und Einblicke offenbart, die sich nach und nach zu einem größeren Bild zusammenfügen. Wie ist es bei Ihnen selbst? Hatten Sie als Autor von Anfang an eine konkrete Vorstellung vom Gesamtverlauf der Geschichte, d. h. hatten Sie alle Ereignisse einschließlich des Endes bereits skizziert? Oder lassen Sie sich beim Schreiben der Geschichte von spontanen Inspirationen leiten und lassen sich überraschen, was als Nächstes passiert? Haben Sie bereits die gesamte Geschichte in Ihrem Kopf entworfen? Können Sie uns mehr über die geplante Struktur von Choujin X erzählen?
Ishida-sensei: Den Gesamthandlungsverlauf der Geschichte habe ich einigermaßen festgelegt, aber manchmal folgen die Charaktere nicht dem Ablauf oder die Dinge verlaufen nicht wie erwartet. Ich lege so etwas wie Schienen, aber wenn etwas entgleist, versuche ich, es so weiterfahren zu lassen. Trotzdem muss ich aufpassen, keine Unfälle zu verursachen. Ich lege das Ziel fest und bahne den Weg. Wenn es dann zu einer Entgleisung kommt und es nicht nur eine Raserei außer Kontrolle war, ist es okay, neue Schienen zu verlegen. … Wenn ich so zurückschaue, denke ich eigentlich nicht, dass ich im Moment sehr entgleist bin. Allerdings sehe ich unerwartete Landschaften und es passieren Dinge, die mich überraschen, sodass es nicht ganz so ist, wie ich es in meinem Kopf entworfen habe. Aber nicht alles sind so gesehen spontane Inspirationen für das Werk. Es ist ungefähr halb und halb. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich die Lust daran verlieren würde, eine Geschichte zu zeichnen, wenn ich mich nicht selbst überraschen kann.
MP: Sie haben mit Tokyo Ghoul einen großen Erfolg erzielt. Wir haben gehört, dass Sie danach einen großen Erfolgsdruck verspürten. Wie haben Sie diesen Druck beim Arbeiten an Choujin X überwunden? Wie sind Sie mit den hohen Erwartungen der Fans umgegangen?
Ishida-sensei: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich gesagt hätte, es gäbe einen Erfolgsdruck. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich richtig erinnere. Habe ich das gesagt? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass ich es gesagt habe.
Aber Autor und Druck, ich denke, das ist ein tiefgreifendes Thema. Deshalb habe ich auf meine eigene Art einmal darüber nachgedacht.
Als Prämisse halte ich Tokyo Ghoul nicht wirklich für einen Erfolg.
Erfolg ist für mich, wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas gut gezeichnet habe. Wenn ich es mir recht überlege, verlange ich eigentlich gar nicht, dass es in der Gesellschaft gut ankommt oder dass es viele Leute gut finden. Erfolg ist für mich also, ob ich mich selbst dafür loben kann oder nicht.
Und wenn ich noch weiter darüber nachdenke, glaube ich, dass es mir eher schwer fällt mich mit meiner Leserschaft auseinander zu setzen. Ich habe ehrlich gesagt gar keine genaue Vorstellung, was für Menschen meine Mangas gern lesen. Ich habe das Gefühl, wenn ich zu sehr darüber nachdenke, versuche ich mehr und mehr nur auf die Leserschaft einzugehen, und das beeinflusst meine Zeichnungen und lässt sie komisch wirken. Daher verlange ich von mir selbst erst einmal nur „Eigenlob“. Alles andere dazu ist nett und ich denke „Danke“.
Deshalb ist das Einzige, was ich also tun kann, mich meinen eigenen Hürden zu stellen, und ich glaube, das ist der größte Druck, unter dem ich stehe. Diesen Druck habe ich bis jetzt nicht wirklich überwunden.
Wenn ich also Manga zeichne, egal ob es sich um Ghoul oder Choujin handelt, stehe ich vor denselben Hürden und demselben Druck. Wenn das, was ich nach dem Überwinden meiner Hürden gezeichnet habe, den Leuten gefällt, bin ich glücklich. Ich denke, das ist dann das erste Mal, dass ich eine Verbindung zu den Lesern herstellen kann.
MP: In Deutschland gibt es viele Leserinnen und Leser, die auch gerne zeichnen. Deshalb möchten wir Sie auch zu den technischen Aspekten Ihrer Werke befragen. Zeichnen Sie traditionell oder digital? Welche Zeichenwerkzeuge verwenden Sie beim Zeichnen von Choujin X, und vor allem: Welche setzen Sie konkret für welche Arbeitsschritte ein?
Ishida-sensei: Ich arbeite vollständig digital mit Clip Studio Paint von Celsys. Welches Zeichenwerkzeug ich verwende …? Schwierig zu erklären. Ich zähle sie mal auf: 10 – 20 Arten von Hauptstift, Zweitstift und Pinsel, die ich häufig verwende, und etwa 100, die ich gelegentlich benutze? Dann habe ich noch etwa 50 Tastenkombinationen. Mit jeder dieser Tasten kann man zwischen Werkzeugen und Aktionsbefehlen umschalten, also verwende ich ungefähr so viele Funktionen. Also, …… für welchen Schritt setze ich konkret welche ein …? Vielleicht beim nächsten Mal mehr dazu …
MP: Woher nehmen Sie selbst Ihre Inspiration beim Zeichnen und gibt es vielleicht ein bestimmtes Ritual, das Ihnen dabei hilft?
Ishida-sensei: Inspiration … Ich weiß nicht so recht. Wenn ich denke, dass ich etwas zeichnen möchte, zeichne ich es. Es kommt nicht so oft vor, dass ich etwas sehe und dann zeichnen möchte. So etwas wie ein Ritual? Das habe ich auch nicht, aber wenn ich längere Zeit nicht gezeichnet habe, werden meine Proportionen unsauber. Daher zeichne ich in solchen Fällen eine Seite mit schnellen Skizzen, um mich für die Arbeit an den Manuskripten aufzuwärmen. So verringere ich den Aufwand, etwas überarbeiten zu müssen, weil es nicht gut gezeichnet ist.
MP: Können Sie uns sagen, wie ein typischer Tag bei Ihnen aussieht? Wie viele Stunden pro Tag und zu welcher Tageszeit (Tag oder Nacht) arbeiten Sie zum Beispiel? Beschäftigen Sie Assistenten? Und welche Aufgaben übernehmen diese?
Ishida-sensei: Derzeit habe ich keine Assistenten. Im Grunde arbeite ich an allem allein. In letzter Zeit stehe ich etwa nachmittags oder abends auf und zeichne wohl ungefähr zehn Stunden lang. Danach lese ich ein Buch oder schaue einen Film, bis ich einschlafe. Wenn ich Probleme mit dem Einschlafen habe, arbeite ich noch etwas. Wenn ich schnell vorankommen oder unbedingt ein Manuskript einreichen will, zeichne ich zwanzig bis dreißig Stunden am Stück. Wenn ich es etwas langsamer angehe oder es nicht eilig habe, zeichne ich nur etwa fünf Stunden und verbringe die restliche Zeit mit anderen Dingen. Außerdem schiebe ich, um meinen Körper zu bewegen, zwischendurch Joggen oder Spazierengehen ein.
MP: Choujin X scheint keinen regulären Veröffentlichungsplan zu haben. Hängt das mit den oben genannten Gründen zusammen? Die Online-Reaktionen der Fans auf diese Situation waren überwiegend sehr positiv. Gab es irgendwelche Reaktionen auf diese Ankündigung, welche sie persönlich bewegt haben?
Ishida-sensei: Wöchentliche Reihen haben einen Seitenumfang von 18 – 20 Seiten, pro Woche. Ich habe jedoch schon immer gedacht, dass ich persönlich, wahrscheinlich etwas besseres zeichnen kann, wenn ich nicht an ein bestimmtes Tempo oder eine bestimmte Seitenzahl gebunden bin. Und ich habe einfacher die Möglichkeit mir frei zu nehmen, wenn ich es brauche. (Ich weiß nichts über die Reaktionen auf die Ankündigung, da ich sie nicht gesehen habe)
MP: Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten? Haben Sie irgendwelche Hobbys oder Lieblingsbeschäftigungen, bei denen Sie sich zwischendurch entspannen?
Ishida-sensei: Nun, Joggen und Spazierengehen sind meine Mittel zur Entspannung. Aber ich denke meistens an die Arbeit, und ich spiele oft Videospiele, lese oder schaue Filme mit Blick auf die Arbeit, sodass es schwer ist, ein Hobby zu finden, das mich völlig entspannt.
MP: Vielen Dank für das Interview!