Besprechung zu „Der Liebhaber“ von Kan Takahama
Die japanische Künstlerin Kan Takahama könnte der Leserschaft hierzulande bereits für Werke wie Zwei Espresso und Die letzte Reise der Schmetterlinge bekannt sein. Ihre Arbeiten werden unter anderem von dem 2017 verstorbenen wie renommierten Zeichner Jiro Taniguchi empfohlen. Carlsen Manga produziert deutschsprachige Fassungen zu ausgewählten Werken Takahamas. Zuletzt veröffentlichte der Hamburger Herausgeber Der Liebhaber – als Graphic Novel. Nachfolgend besprechen wir den Titel.
Erst kürzlich erschien die auf dem gleichnamigen Roman von Marguerite Duras basierende Adaption; nun liegt das Werk bereits hierzulande vor. Die von Miyuki Tsuji ins Deutsche überführte Ausgabe ist dabei als großformatiges Hardcover-Buch gefasst. Aufgrund der Vollfarbigkeit der Publikation sowie dem Gesamtumfang von 160 Seiten, sind monetär 22 Euro (D) für die Graphic Novel in westlicher Leserichtung zu entrichten.
Inhaltsbeschreibung
Wie eingangs skizziert, basiert diese Bildgeschichte von Kan Takahama auf dem – bereits 1992 von Jean-Jacques Annaud verfilmten – Roman Der Liebhaber (org.: L’Amant), welcher 1984 als autobiographische Erzählung von Marguerite Duras auf Französisch bei Les Éditions de Minuit erschien. Die Handlung ist in Indochina, dem heutigen Vietnam, angesetzt.
Zur französischen Koloniezeit lebt dort die fünfzehnjährige Protagonistin mit ihrer Familie – ihrer Mutter, ihrem jüngeren Bruder sowie mit ihrem älteren Bruder mit kriminellen Tendenzen. Nachdem ihre Familie beim Erwerb eines Grundstücks betrogen wurde, erdrücken Schulden die armen Menschen. Sie war die ärmste Tochter einer weißen Familie in ihrer dortigen Heimat.
Zum Ende der Schulferien verlässt die junge Französin wieder ihr Zuhause; sie wohnt außerhalb der Ferienzeiten in einem Pensionat in Saigon. Neben ihr wohnt nur ein weiteres Mädchen aus dem Westen dort, die blonde Schönheit Hélène Lagonelle. Mit dieser tauscht sie sich zur Schlafenszeit über diverse Freizügigkeiten aus.
So ist auch ein mehr als zehn Jahre älterer Chinese, welchen die Protagonistin kennenlernt, Thema ihrer Gespräche. Dieser stammt aus einer wohlhabenden Familie, die durch Immobiliengeschäfte zu unsagbarem Reichtum gelangte. Beide lassen sich auf eine Liaison miteinander ein. Doch ist eine leidenschaftliche Affäre dieser Art gesellschaftlich keinesfalls geduldet …
Visualisierung
Bereits in schwarz-weiß stellte Takahama ihr Können wiederholt unter Beweis – nun bestätigt sie die hohe Güte ihrer Illustrationen erneut durch ihre vollfarbigen Zeichnungen. Das Großformat betont die imposante Bebilderung darüber hinaus effektiv. Der Stil ist dabei nicht dem Fernosten zuzuordnen, sondern erscheint der westlichen Comickultur angepasst. Für Manga-Leser könnte dies – wie auch die westliche Leserichtung – gewöhnungsbedürftig sein; Comic-Begeisterte dürften dahingehend keine Hürde erfahren.
Die einzelnen Panel sind in ihrer Größe stets ansprechend und strukturiert angeordnet, ein reibungsloser Lesefluss sei an dieser Stelle garantiert. Die kostenlose, digitale Preview, welche der potenziell interessierten Leserschaft unbedingt zu empfehlen ist, stellt Carlsen Manga hier zur Verfügung. Diese beinhaltet zudem das Vorwort der verantwortlichen Künstlerin.
Der benannte Herausgeber empfiehlt den Titel auf der offiziellen Webseite einem Publikum ab 14 Jahren. Aufgrund der expliziten Darstellung der primären Geschlechtsmerkmale der Protagonistin sowie der wollüstigen Atmosphäre, die in Optik wie Sprache gegeben ist, teilen wir diese Auffassung nicht.
Erzählweise
Zu Beginn der Handlung präsentiert Takahama die angejahrte Duras, welche im Folgenden beginnt, sich an ihre Jugendzeit als Fünfzehnjährige in Saigon und dortige Begegnung mit dem entschieden älteren Chinesen zurückzuerinnern. Die Adaption aus japanischer Feder stützt sich dabei auf die etwa 100 Seiten umfassende Sammlung der Erinnerungen Duras, welche zum Zeitpunkt der Niederschrift über fünfzig Jahre zurücklagen. Entsprechend liegen einige Passagen nur fragmentiert vor. Für den Manga ergänzte Takahama daher den Dialog.
Inhalte wie die Spiel- und Drogensucht des älteren Sohnes der Familie sowie andere Details weichen in ihrer Wiedergabe von Originalvorlage in ihrem Fokus geringfügig ab, verzerren das Gesamterlebnis dadurch jedoch nicht maßgeblich. Innerhalb der rund 160 Seiten ist eine solide Adaption angeboten; diese wirkt im Erzähltempo stellenweise jedoch zu zügig. Die Veröffentlichung in einem erweiterten Umfang hätte möglicherweise tiefergreifenden Anklang gefunden.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass das Vorwort den Verlauf der Geschichte bereits vorwegnimmt. Ähnlich wie bei der Manga-Umsetzung von Der Graf von Monte Christo wird hierbei davon ausgegangen, dass die Leserschaft bereits mit dem Inhalt des Werks vertraut ist. Sollte dies nicht zutreffen, sind die einleitenden Worte vorläufig im Prozess des Lesens zu überspringen, sofern handlungsvorwegnehmende Elemente vermieden werden sollen. In jedem Fall ist sowohl das Vor- als auch Nachwort eine gute Ergänzung zu dem Buch.
Konklusion
Die vollständig illustrierte Graphic-Novel-Adaption von Marguerite Duras Roman Der Liebhaber erscheint insgesamt gelungen – das Originalwerk kann dadurch jedoch nicht ersetzt werden. Denn neben der editierten, inhaltlichen Präsentation erscheint der vorliegende Umfang möglicherweise nicht als ausreichend. Damit ist nicht gemeint, dass die Umsetzung gänzlich unzureichend wirkt – doch ist sie ausbaufähig.
Das Herz dieser Fassung liegt in den vollfarbigen Illustrationen Takahamas, die die handelnden Figuren und die mit ihnen inhaltlich verwobenen Geschehnisse im westlichem Stile abbilden. Somit öffnet sich die Veröffentlichung auch für ein Publikum, das üblicherweise keine Werke aus Fernost liest. Liebhabende von moderner, französischer Literatur könnten ebenfalls Gefallen an dem Titel finden.
Bei Carlsen Manga ist sich dabei für die hochwertige Produktion der deutschsprachigen Ausgabe im großformatigen Hardcover auf Hochglanz-Papier zu bedanken. Unsere Redaktionen bedankt sich darüber hinaus beim Hamburger Herausgeber für die Zurverfügungstellung eines Belegexemplars.