Interview mit altraverse – Jahresabschluss 2023, Light Novels, Eigenproduktionen und neue Projekte
Passend zum Jahresende durften wir Fragen an Joachim Kaps von altraverse richten. Dabei ging es unter anderem um aktuelle und zukünftige Projekte, wie Hörbücher und das Light-Novel-Segment.
Wir bedanken uns bei altraverse-Verlagsleiter Joachim, der sich trotz seines vollen Terminkalenders zwischen den Feiertagen Zeit für uns genommen hat. Nachfolgend werden wir Joachim mit Jo und uns selbst mit MP abkürzen.
MP: Hallo Joachim, vielen Dank, dass du dir Zeit für uns nimmst.
Jo: Hallo! Wie immer gerne!
MP: Lass uns wieder ganz allgemein starten: Wie lief das Jahr 2023 bei euch und was waren die größten Highlights aus deiner Sicht?
Jo: Das vergangene Jahr war von den Außenbedingungen des Marktes her betrachtet recht ungewöhnlich. Man vergisst es beinahe, aber 2023 war für den Markt das Jahr »nach Corona«. Einerseits waren endlich erstmals alle Veranstaltungen wieder am Start und hatten mehr Zuspruch als je zuvor, andererseits durften die Menschen nicht nur wieder auf Cons, sondern auch alles andere wieder machen. Dadurch ist der Manga-Markt insgesamt zum ersten Mal nicht mehr so krass gewachsen, sondern hat rund 2–3 % Umsatz verloren. Das ist noch immer ein Vielfaches des Marktes vor Corona, aber es wachsen nicht mehr alle Bäume ungebremst in den Himmel.
Highlights waren für mich vom Programm her gesehen neben GACHIAKUTA, Der Sommer, in dem Hikaru starb und After God unsere neuen lokalen Projekte, bei denen man doch immer noch einmal stärker involviert ist als bei Lizenzen, weil man die Menschen hinter den Büchern besser kennt und ihnen natürlich besonders fest die Daumen für ihre Premieren drückt. Die Starts von Die Tänzerin des Königs, Kiela und Let’s Cast Off und ihre gute Aufnahme im Markt waren für mich emotionale Highlights. Und von den Büchern abgesehen, waren es natürlich Events wie das Wet Sand-Signiercafé, der Besuch von Yoko Taro und viele Promotion-Events auf den Cons, inklusive der großartigen Rooster Fighter-Gang, die mich in Leipzig beinahe zum Weinen gebracht hätte. Wann immer man die Begeisterung der Leser live erleben kann, ist das ein Highlight für mich.
Last but not least war für mich das Team von altraverse ein Highlight in 2023. Wir sind inzwischen auf über 30 Leute angewachsen und so schnell zu wachsen ist nicht immer einfach, weil alle Neuzugänge erst mal ihren Platz finden und die Idee des Verlags verstehen müssen. Natürlich klappt da nicht immer alles sofort, aber ich bin insgesamt jeden Tag aufs Neue begeistert davon, mit wie viel Leidenschaft jede und jeder Einzelne auf seiner und ihrer Position kämpft, damit es mit dem Unternehmen vorangeht. Ich bin glücklich, dass ich mit diesen großartigen Menschen zusammenarbeiten darf. 😊
MP: In den letzten Jahren konntet ihr eure Position am Markt ausbauen. Wie sieht es dieses Jahr aus?
Jo: Wir konnten den Trend der letzten Jahre fortsetzen und waren das einzige der größeren Label, das in einem leicht schrumpfenden Markt noch weiter zulegen konnte. Damit sind wir erstmals in unserer Geschichte in die Top 3 der deutschen Manga-Verlage aufgestiegen. Natürlich haben wir dabei auch von unserer Cross-Media-Strategie profitiert. Wir hatten so viele Themen wie nie zuvor, die vom Manga zum Anime adaptiert wurden – Meine ganz besondere Hochzeit, [Mein*Star], Frieren und Shangri-La Frontier waren da nur die Spitze des Eisbergs.
Gerade vor dem Hintergrund der zum Teil starken Verluste anderer Verlage macht uns das dankbar und demütig zugleich. Aber wir wissen auch, dass der Erfolg 2023 eben nur für das vergangene Jahr steht und wir uns ab Januar nur umso mehr anstrengen müssen, um diesen Erfolg zu verteidigen und auszubauen.
MP: Mit Yoko Taro und Doyak habt ihr dieses Jahr gleich zwei besondere Ehrengäste aus Fernost eingeladen. Wie hast du die beiden Besuche wahrgenommen?
Jo: Wie schon erwähnt gilt da noch immer der alte Opus-Song aus den 80ern: Live Is Life – und durch nichts zu überbieten. Dabei zu sein, wie echte Fans den Autor*innen begegnen und zu spüren, was das für beide Seiten bedeutet, hat immer eine ganz besondere Magie. Ich muss aber auch betonen, dass wir nicht nur zwei, sondern viel mehr besondere Gäste hatten. Auftritte von Sozan, Jenny, Sabrina, Gin, Ban, Tamasaburo oder SchornEE sind für mich nicht weniger besonders, nur weil sie öfter bei uns zu Besuch sind.
MP: Viele Fans interessiert: Geht es 2024 direkt mit Ehrengästen weiter? Plant ihr, wieder regelmäßig Ehrengäste für die Messen einzuladen, wie es vor Corona der Fall war? Und wie sieht es mit weiteren Events bei euch vor Ort aus?
Jo: Wie gesagt: Ehrengäste sind immer alle, ganz gleich woher die Künstler*innen kommen, aber ihr zielt hier wohl auf internationale Gäste ab. Darum sind wir weiter bemüht und können schon sehr bald für Leipzig auch Besuch aus Japan ankündigen. Ob das bei allen Cons klappt, können wir noch nicht versprechen, aber wir führen viele Gespräche zu diesem Thema. 😊 Für Events bei uns vor Ort gilt, dass wir das auf jeden Fall wiederholen wollen, was genau es sein wird, steht allerdings noch nicht fest. Aber beim zweiten Mal wollen wir es noch ausbauen und auch exklusive Merchandise-Premieren mit einbauen.
MP: Meine ganz besondere Hochzeit war 2023 ein großes Highlight, sodass ihr für 2024 das Artbook, welches erst im Sommer 2023 in Japan erschienen ist, nachlegt. Kann man in Zukunft mit mehr Artbooks von (beliebten) Manga-Reihen bei euch rechnen?
Jo: Zu Fullmetal Alchemist, NieR: Automata, Sekiro und Elden Ring haben wir ja auch vorher schon Artbooks produziert, weil wir Spaß an solchen besonderen Büchern haben. Und wir kündigen schon in Kürze das nächste Artbook zu einer erfolgreichen Reihe an, welche da noch in Frage kommen könnte, könnt ihr vielleicht erraten? 😊 Wir werden das aber in aller Regel vor allem bei Ausnahmethemen machen. Damit ist gemeint, dass die Serie entweder besonders erfolgreich sein oder sehr besonderes Material zur Verfügung stehen muss. Denn klar ist auch, dass man von einem Artbook immer deutlich weniger verkaufen wird als von einem Manga. Daher muss die Fallhöhe stimmen, damit ein solches Projekt sinnvoll ist.
MP: Kürzlich ist eure Taschenbuchausgabe zu Solo Leveling gestartet, welche mit exklusiven Zeichnungen erscheint. Kannst du schon etwas zur ersten Resonanz sagen?
Jo: Zunächst einmal sind wir mörderstolz, dass unser Partner in Korea so viel Vertrauen zu uns hatte, uns diese Ausgabe zu erlauben. Es ist ja nicht alltäglich, dass man neue Illustrationen zu einer so erfolgreichen Brand gestalten darf. Die erste Auflage des ersten Bandes ist inzwischen auch fast komplett verkauft – und das ja bislang ohne einen Anime im Rücken. Wir sind also durchaus zufrieden mit den Zahlen. Aber auch hier gilt wie bei den Artbooks: Natürlich verkauft man von der Comicfassung einer solchen Story als Manga-Verlag immer mehr. Uns ist aber wichtig, unsere Top-Themen auch vertikal stärker auszuwerten, um eine Markenwelt zu erschaffen, die über den Manga hinausweist. Daher werden wir diesen Weg auch weiter beschreiten, auch wenn das manchmal schwerer ist als sich auf Manga zu fokussieren. Wir denken da eher langfristig.
MP: 2023 sind die Spin-off-Novels von Fullmetal Alchemist und Nier:Automata bei euch gestartet. Ansonsten gab es keine neue Reihe in dem Light-Novel-Segment – auch für 2024 ist bisher kein weiterer Roman-Neustart angekündigt. Sind alle Programmplätze belegt, oder woran liegt es?
Jo: Zunächst einmal sind Light Novels – wie gerade schon erwähnt – sehr viel schwerer zu kalkulieren als Manga. Man hat ein Vielfaches an Übersetzungskosten, verkauft aber in der Regel deutlich geringere Stückzahlen. Zum anderen haben wir aber einfach auch auf die richtigen Projekte gewartet, weil uns wichtig ist, dass es eine Verbindung zum Kern unseres Manga-Programms gibt. Wir würden keine Light Novels zu Serien machen, bei denen wir nicht auch die Manga-Rechte halten. Aber für alle, die gerne Light Novels lesen, habe ich hier gute Nachrichten. Vier neue Themen sind in dem Bereich in Vorbereitung, die nur noch nicht angekündigt sind. 😊
MP: Eure Eigenproduktionen haben 2023 viele der vorderen Plätze in den Jahresrankings, die ihr im vergangenen #altralive-Stream bekannt gegeben habt, erreicht. Zahlt sich euer Investment dahingehend also auch monetär aus? Und inwiefern siehst du einen Trend, dass deutschsprachige Produktionen (zunehmend) beliebter werden?
Jo: Ich hatte nie einen Zweifel daran, dass sich Eigenproduktionen auszahlen. Man braucht hier aber eine Strategie, die weit über den nächsten Jahresabschluss hinausreicht. Eigenproduktionen, wie wir sie machen, sind kurzfristig sehr viel teurer als Lizenzen, aber langfristig hat man natürlich auch Verwertungsrechte, die man bei Lizenzen nicht unbedingt hat. Das hat sich bei uns mit Blick auf die Entwicklung unserer Merchandise-Aktivitäten ausgezahlt und wird nun mit dem wachsenden Erfolg der Themen und ihrer internationalen Verwertung erst recht lohnen. Das steht alles noch ganz am Anfang, weil wir hier ja auch erst einmal einen Katalog aufbauen mussten, der sichtbar ist. Aber gerade auf den Cons haben wir 2023 gemerkt, was für ein unglaubliches Pfund unsere lokalen Autor*innen sind. Unser Stand war nicht zuletzt dank ihnen immer rund um die Uhr stark belagert.
MP: Kommen wir zu Produktionen aus Korea, denn deren Beliebtheit scheint auch 2023 nicht abgeflacht. Das haben auch andere Verlage erkannt und entsprechende Labels gegründet. Wird sich an eurem Bezug zu der Sparte etwas ändern?
Jo: Zunächst einmal freut es uns, dass nun so viele, die jahrelang betont haben, dass das Thema Webtoon sie nicht interessiert, mit Blick auf unseren Erfolg nun ihre Meinung doch noch geändert haben. Um den Markt weiter auszubauen, ist uns jeder Mitbewerber willkommen, der es mit dem Thema ernst meint. Um final zu beurteilen, wer es wie ernst meint, muss man jetzt aber erst einmal abwarten, was außer den Ankündigungen passieren wird. Webtoons stehen gerade da, wo Manga vor fünfzehn bis zwanzig Jahren standen und es ist nicht damit getan, mal eben ein paar Bücher zum Drucker zu schicken.
Wir haben auf dem Weg durch die letzten fünf Jahre viel Zeit und Geld darin investiert, das Thema im Handel und bei den Lesern zu etablieren, damit daraus mehr als eine Eintagsfliege wird. Wir hoffen, dass sich die neuen Anbieter auch an dieser Arbeit konstruktiv beteiligen werden und nicht nur dem schnellen Geld hinterherlaufen wollen. Nicht jeder erfolgreiche Webtoon wird auch eine erfolgreiche Buchpublikation, das kann man schon jetzt im europäischen Ausland beobachten. Dort hat nach einem ersten Bieterwettstreit mit viel zu hohen Vorschusszahlungen bereits eine gewisse Ernüchterung bei den Marktteilnehmern eingesetzt. Nicht jeder Webtoon ist Solo Leveling und nicht jeder in Korea gehypte Titel hat aktuell auch in unserem Markt die gleichen Chancen.
Für uns bedeutet all das, dass wir uns auch weiter darum bemühen werden, nicht nur schnell viele Titel zu lizenzieren, sondern den Aufbau des Marktes kommunikativ zu begleiten. So wird es im Frühjahr Werbung für Webtoons in großen Bahnhöfen geben, wir fahren eine Deko-Aktion mit unseren besten Partnern im Handel und starten ein Gratis-Magazin mit unterhaltsam aufbereiteten Hintergrundinfos zum Thema Webtoon. Und natürlich bauen wir daneben auch unseren Katalog weiter aus.
Wir haben – selbst wenn man Ausnahmeerfolge wie Heartstopper & Co. mit einrechnet – bei Webtoons aktuell einen Marktanteil von deutlich über 50 %, gefolgt von papertoons mit 13 %. Das heißt praktisch, dass zwei von drei Webtoons in 2023 von unserem Vertriebsteam in den Markt gebracht wurden. Das wird sich bei mehr Anbietern nicht halten lassen, aber wir haben bei dem Thema aktuell doch einen gewissen Vorsprung, den wir uns nicht so einfach nehmen lassen wollen.
MP: Nach Radiant (und Das Tsugumi-Projekt) ist mit Ripper von Jeronimo Cejudo bald ein weiterer Titel aus Frankreich bei euch vertreten. Wie kam es dazu? Und was macht den Titel deiner Meinung nach so besonders, dass ihr ihn in den Katalog aufgenommen habt?
Jo: Für uns spielt keine Rolle, wo ein Autor oder eine Autorin lebt, wenn wir einen Titel einkaufen, sondern ob wir ein Thema gut finden. Und Radiant und Ripper haben alles, was die frühen großen Jump-Serien ausgezeichnet hat und wovon aktuell zu wenig Nachschub aus Japan kommt: einen jugendlichen Helden, der ein großes Abenteuer zu bestreiten hat, große Gefühle und eine spannende Welt, die es zu erkunden gilt, dabei eine Erzählweise, die auch für junge Leser funktioniert und so einen Einstieg in die Welt der Manga ermöglicht. Mainstream-Potenzial im besten Sinne des Wortes, Manga die sowohl ein Dreizehnjähriger als auch ältere Leser*innen mit Gewinn lesen können. Ich habe Ripper auf jeden Fall mit großer Begeisterung gelesen und mich nicht zuletzt auch an den großartigen Zeichnungen nicht sattsehen können. Und das geht alles ohne allzu plumpe Effekte über die Bühne, sondern schlicht mit dem Zauber der Magie von Wort und Bild und nachvollziehbaren Charakteren. 😊
MP: Werdet ihr in Zukunft gegebenenfalls verstärkt mit französischen beziehungsweise europäischen Verlagen zusammenarbeiten? Die Werke von Gin und Ban Zarbo erscheinen mittlerweile ja schon in Schweden beziehungsweise bald in Italien.
Jo: Ich habe in diesem Jahr einige Energie in ein neues Projekt gesteckt, zu dem sich europäische Verlage zusammengefunden haben, weil sie gemeinsam die europäische Manga-Produktion stärken wollen. Wir sind sehr stolz, dass man altraverse hier im Ausland als den bestmöglichen Partner im deutschen Markt angesehen hat und wir Teil dieses Abenteuers sein dürfen. Im Januar wird es hierzu mehr zu erzählen geben. Im Grunde zielt das Bündnis aber darauf ab, den aktuell vor allem lokal agierenden Künstler*innen Tore in den gesamten europäischen Markt zu öffnen und so auch ihre wirtschaftliche Situation langfristig zu verbessern. Mehr kann ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten.
MP: Du hattest in unserem letzten Interview bereits angeteasert, dass ihr 2024 Pläne im Bereich Audiobook habt. Kannst du hierzu inzwischen bereits etwas Konkreteres sagen?
Jo: Ja, aber leider vor allem, dass wir einen kleinen Rückschlag einstecken mussten, weil wir im ersten Anlauf auf den falschen Partner gesetzt hatten. Wir wollten das Projekt mit zusätzlicher Kompetenz ausstatten und hatten jemanden mit ins Boot geholt, der viel Erfahrung mit Anime-Umsetzungen hatte. Leider ist diesem Partner nach einem furiosen Start ziemlich schnell die Luft ausgegangen und er konnte uns nicht dauerhaft das liefern, was er uns versprochen hatte.
Also haben wir zwei komplett fertig gestellte und bezahlte Produktionen gerade schweren Herzens in einem Schrank eingeschlossen und starten in neuer Aufstellung wieder bei null, weil wir sicherstellen wollen, dass wir hier nicht nur einen Schnellschuss machen, sondern dauerhaft gute Projekte umsetzen können. Durch das ganze Hin und Her hat sich der Launch verzögert und wird erst im Herbst stattfinden.
MP: In einem der letzten #altralive hast du außerdem angedeutet, dass ihr an der Lizenz der Light Novel zu Meine ganz besondere Hochzeit dran seid. Hast du zum Jahresende vielleicht gute Neuigkeiten für die Fans der Serie?
Jo: Ich will es mal so sagen: Ich bin bei dem Thema ganz optimistisch. 😊
MP: Worauf dürfen sich Fans 2024 von altraverse freuen?
Jo: Auf einen bunten Strauß neuer Themen im Bereich Buch, mehr Merchandise – auch zu internationalen Themen, einige verrückte Ideen, eine neue Homepage mit neuen Möglichkeiten für den Webshop, fünf Veranstaltungen, auf denen wir Vollgas geben wollen und am Ende des Jahres auf ein weiteres Interview mit Manga Passion, wie ich hoffe. 😊
MP: Hast du zum Abschluss noch ein paar Worte an unsere Leserschaft?
Jo: Danke, dass ihr uns in 2023 so sehr den Rücken gestärkt habt. Wir machen das für euch und es macht uns nur Freude, wenn ihr Freude daran habt, was wir tun. Ich hoffe, wir treffen viele von euch auf den Cons in 2024 und können uns dort mit euch austauschen.
Und was immer das neue Jahr bringt: Lest mehr Manga mit stolzen Hähnen! 😊
MP: Vielen Dank für das Interview!
Jo: Ich habe zu danken!