Besprechung zu „Love in the Big City“
Ende Oktober feierte die Live-Action-Adaption von Love in the Big City mit Yoon-su Nam und Ho-eun Jin in den Hauptrollen (unter anderem) bei Rakuten Viki Webpremiere. Wir haben uns den zugrundeliegenden Roman von Sang Young Park, der zugleich dessen Debüt als Literat darstellt, genauer angeschaut und berichten im Folgenden von unseren Leseeindrücken.
Der Einzelband ist hierzulande im März 2022 unter dem Nova-Label des Suhrkamp Verlags erschienen. Zum Preis von 16,00 € wird eine rund 250 Seiten starke Klappenbroschur im Format von 13,2 × 21 cm geboten – samt einer dezenten Spotlack-Beschichtung der Buchvorderseite. Alternativ steht eine E-Book-Fassung für 13,99 € zur Auswahl. Jan Henrik Dirks hat das Werk aus dem Koreanischen übersetzt.
Inhaltsbeschreibung
Der leicht übergewichtige Young, ein Student der Romanistik, möchte Autor werden. Während er diesen Traum mit der ein oder anderen Unterbrechung verfolgt, vergnügt er sich im Nachtleben der südkoreanischen Hauptstadt. In seinen Zwanzigern frönt er Alkohol und Männern. Etwas Nachhaltiges entwickelt sich aus diesem Lebensstil, aus dem verschiedene Tinder-Bekanntschaften hervorgehen, nicht.
Schon die Kindheit hielt für ihn keine allzu angenehmen Erinnerungen bereit. Seine Mutter ist eine strenge Christin, die Homosexualität ebenso wie eine Entschuldigung für die eigenen Verfehlungen zu Youngs Jugendzeiten strikt ablehnt. Eine Krebserkrankung führt schließlich dazu, dass sich der angehende Schriftsteller um seine Mutter, die er zugleich liebt und verdammt, kümmern muss.
Parallel trifft er sich regelmäßig mit einem Mann, dessen bestimmendes Wesen, angeführt von einem ausgeprägten Antiamerikanismus, für beziehungstechnische Herausforderungen sorgt. Nach und nach kommen auf Young weitere Schwierigkeiten zu. Scheinbar ist er nicht dazu bestimmt, glücklich zu werden …
Aufbau & Stil
Die Erzählung gliedert sich in vier Hauptabschnitte mit insgesamt fünfzehn Unterkapiteln, die wiederum durch Trennzeichen unterteilt sind. Personale Schilderungen, die den autobiografischen Aspekt hervorheben, und Dialoge bilden den formalen Rahmen, auf stilistischer Ebene zeichnet sich der Roman durch mitunter sarkastische, teils (passiv-) aggressive Schilderungen aus, die stellenweise misanthropisch anmuten.
Love in the Big City schneidet verschiedene Themen, die in Südkorea sehr konservativ betrachtet werden, an – allen voran Homosexualität, Schwangerschaftsabbrüche, die Studentenproteste der jüngeren Geschichte und das in der Gesellschaft verwurzelte Christentum. Sonderliche Tiefe wird dabei nicht ausgearbeitet, vielmehr steht die allgemeine Gefühlswelt von Protagonist Young zur Zeit des Geschehens im Mittelpunkt. Selbst Rückschlüsse finden sich über den Verlauf hinweg kaum, allgemein fehlt es an einem Erzählbogen.
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[Englisch] Author Talks: Sang Young Park
Zudem sind mit Blick auf die Übersetzung beziehungsweise redaktionelle Bearbeitung verschiedene Mängel aufgefallen. Einerseits stört der Gebrauch verhältnismäßig vieler Anglizismen den Lesefluss, andererseits fehlt es der Veröffentlichung an einem Glossar. Zahlreiche Begriffe aus der koreanischen Kultur und Geschichte, zum Beispiel das Kongsuni-Püppchen, der Hancheongyon-Zwischenfall oder die Misun-Hyosun-Mahnwachen verbleiben ohne Erläuterung – oder werden auffallend einfach lokalisiert.
Interessierte können im gut sortieren Handel unverbindlich reinblättern – das Buch ist nicht eingeschweißt. Alternativ findet sich an dieser Stelle eine kostenlose PDF-Leseprobe. Illustrationen sind nicht enthalten; die einzige Abbildung befindet sich auf der Flappe des Backcovers und zeigt Autor Sang Young Park.
Fazit
Was für uns auf Basis der verlagseigenen Beschreibungen zunächst vielversprechend klang, offenbarte sich bedauerlicherweise schon in der ersten Hälfte als träge Aneinanderreihung lose verknüpfter Handlungsepisoden, die nicht zu begeistern wussten. Obwohl Protagonist Young als Figur grundsätzlich interessant ist, gelingt es der Geschichte nicht, Sympathie – oder überhaupt Interesse – für sein Schicksal zu wecken. Entsprechend zäh gestaltet sich die Lektüre. Später wird es geringfügig besser, aber so lange muss erst einmal durchgehalten werden.
Obwohl Love in the Big City in der Tat einige lebensnahe Schilderungen beinhaltet, mutet das Gesamtwerk als Lamento an. In fast berechnender Regelmäßigkeit schildert der Ich-Erzähler sein Leid. Sicherlich tragisch, aber mindestens genauso vergessenswürdig. Auch die erhoffte gesellschaftskritische Komponente wird höchstens in Ansätzen übermittelt. Humoristisch dafür gar nicht so schlecht, stellenweise lädt die überzeichnete Ironie zum Schmunzeln ein.
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[Deutsch] Interview mit Sang Young Park, Autor von Love in the Big City
Nach dem Abschluss bleibt die Frage, die schon während des Lesens beschäftigt: Und nun? Nach unserem Empfinden berichtet Autor Sang Young Park hier von eigenen Erfahrungen, unternimmt eine Form des Expressive Writing – quasi Selbsttherapie durchs Schreiben. Für das Publikum bleibt der Erkenntnisgewinn insgesamt marginal, wirklich spannende Aspekte – die das Buch zum Beispiel mit einer HIV-Infektion durchaus zu bieten hat – verbleiben zu oberflächlich.
Zusammenfassend ist Love in the Big City also nicht das revolutionäre Stück queere Literatur, das man sich, nicht zuletzt aufgrund der vielen positiven Stimmen von internationaler Seite, vielleicht erhofft. Daran trägt sowohl der eigentliche Inhalt als auch der Schreibstil, oder eben gegebenenfalls die Übersetzung, Schuld. Aus unserer Sicht verhält es sich hier ähnlich wie mit Han Kangs Die Vegetarierin: für Südkorea sicherlich progressiv, für die westliche Welt längst (zu) alltäglich.
Abschließend bedanken wir uns beim Suhrkamp Verlag, der diesen Artikel mit einem Belegexemplar unterstützt hat.