Interview mit KAZÉ – Corona, Crunchyroll-Übernahme und Sportmanga
Manga Passion hatte vor Kurzem die Gelegenheit, mit KAZÉ Manga über die Folgen der Corona-Krise, die Kritik der Fans und die Pläne für die Zukunft des Verlags zu sprechen. Programmleiter Patrick Peltsch und Presse- und PR-Manager Michel Decomain haben sich dabei unseren zahlreichen Fragen gestellt und haben einige interessante Antworten für euch parat.
Manga Passion: Hallo Patrick und Michel und vielen Dank, dass ihr euch Zeit für unsere Fragen nehmt!
Michel: Sehr gerne doch! Ihr habt da ein wirklich tolles Projekt aufgebaut und ich bin gespannt, wie es sich weiterentwickelt!
MP: Jahrelang habt ihr viele Reihen im Vergleich zu anderen Verlagen lieferbar gehalten. Nun scheinen viele Lizenzen auszulaufen, darunter auch relativ neue Titel wie Die Tanuki-Prinzessin – warum?
Patrick: Dass Lizenzverträge irgendwann enden, wird niemanden überraschen. Die Frage ist: will man noch mal verlängern? Um diese Frage positiv zu beantworten, müssen Abverkäufe stattfinden, denn wer eine Lizenz behält, muss den Titel lieferbar halten. Eine Reihe, die aber nur noch Lagerkosten verursacht, sollte man irgendwann loslassen können, auch wenn’s schwerfällt. Ein wichtiger Anstoß war, dass wir letztes Jahr die gesamte Auslieferung neu organisiert und auch das Lager komplett neu aufgestellt haben. In diesem Zuge haben wir dann auch eine Inventur vorgenommen und geschaut, wo das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
MP: Nehmt ihr euch die Kritik der Fans, die die Namen ihrer geliebten Figuren so nicht wiedererkennen für die Zukunft zu Herzen oder haltet ihr an eurer Linie fest? (z. B. Haikyu!!)
Patrick: Kritik der Fans nehmen wir uns grundsätzlich immer zu Herzen. Nur ist es ja nicht so, als ob wir den Figuren neue Namen geben würden. Wir fahren lediglich redaktionell eine klare Linie und benutzten konsequent die Vornamen, so wie man sich eben bei uns anredet. Die Gründe hierfür haben wir oft, ausführlich und transparent dargelegt und soweit ich das bisher nachverfolgt habe, wird die Kritik daran nicht von der Mehrheit der Leser geteilt. Bei Haikyu!! war es speziell, weil der Anime schon vor dem Manga da war. In so einem Fall verhält es sich oft, als hätte man gerade jemanden kennengelernt – instinktiv sträubt man sich, den ersten Eindruck zu revidieren, da wird innerlich ein Abwehrreflex aktiviert. Bei der großen Masse unserer Manga-Reihen stört sich daran überhaupt niemand, Beispiel Tokyo Ghoul, oder man gab uns nach anfänglicher Kritik im Nachhinein sogar viel positives Feedback, wie bei Nisekoi.
MP: Schreibweisen mögen sicherlich nicht in Stein gemeißelt sein, doch Konsistenz wäre schön. TOKYOPOP hat sich beispielsweise verlagsintern darauf verständigt, aufgrund des Verlagnamens Tokyo statt Tokio zu schreiben. KAZÉ schreibt unterdessen auf das Cover einer der meistverkauftesten Manga Deutschlands Tokyo Ghoul – verwendet in diesem jedoch stetig „Ghul“ als Wesensbezeichnungen – weswegen?
Patrick: Tokyo Ghoul ist nun mal der Originaltitel. So wie One-Punch Man, One Piece, Bleach und so weiter. Aber warum deswegen in einer deutschen Übersetzung das englische Ghoul benutzen? Ich bin der Meinung, hier wäre es falsch, zu versuchen, päpstlicher als der Papst zu sein. „Ghoul“ ist weder ein weithin anerkannter und feststehender Begriff wie zum Beispiel „Goblin“, noch ein Eigenname wie „Black Dog“, der Spitzname der Figur Kaya Irimi, die den selbstverständlich behalten durfte. Ich vermute stark, dass im Fall von „The Rising of the Shield Hero“ im Innenteil von „Held“ und nicht von „Hero“ die Rede ist. Und auch bei Blue Exorcist würde doch niemand erwarten, dass wir im Innenteil von „Exorcists“ statt „Exorzisten“ sprechen. Offen gesagt, sehe ich da keinen Widerspruch.
MP: Sind bei euch durch die eher mäßigen Verkaufszahlen von Haikyu!! Sportmanga erstmal vom Tisch?
Patrick: Da muss ich etwas geraderücken: Die Verkaufszahlen von Haikyu!! sind für einen Sportmanga phänomenal! Band 1 hat über 10.000 Exemplare verkauft, Haikyu!! insgesamt war 2019 in den Top10 der sich am besten verkaufenden KAZÉ-Reihen. Und nicht nur das, seit Mai 2020 erlebt die Serie noch einmal einen unerwarteten Boom, die Verkäufe der ersten Bände gingen noch einmal schlagartig in die Höhe. Das ist enorm. Auf der Kehrseite hat Haikyu!! eben 43 Bände (derzeit) und wir sind in Deutschland erst bei Band 19. Ob sich das also bis zum Ende trägt und letztendlich wirklich gelohnt hat, werden wir erst in einigen Jahren abschließend wissen. Aber einem Sportmanga zu einem solchen Erfolg zu verhelfen, das haben wir zumindest schon mal geschafft.
Was andere Sportmanga angeht, hatte ich erst vor Kurzem eine wirklich spannende neue Reihe im Blick und hätte die Lizenz liebend gerne nach Deutschland geholt. Aber da der Mangaka bereits bei einem anderen deutschen Verlag unter Vertrag ist, hat unsere Konkurrenz das Vergnügen, diesen tollen Manga verlegen zu dürfen. Dabei wünsche ich ihnen natürlich ebenso viel Glück und Erfolg, der Titel hat es jedenfalls verdient.
MP: Gibt es einen Grund, warum ihr mehr oder weniger einen Bogen um Großformat macht oder hat es sich bislang einfach kaum angeboten?
Patrick: Es ist nicht so, als hätten wir das noch nie versucht, aber dann landete der Titel, für den es geplant war, bei einem anderen Verlag oder es kam sonst was dazwischen. Auch für Verlage ist das Leben nicht immer ein Wunschkonzert. ? Eine Ausnahme war Super Mario Adventures, der ist aber auch im Original groß. Was den derzeitigen Boom in Bezug auf größere Formate angeht, scheint mir der vermehrt der Intention geschuldet, dafür einen höheren Preis nehmen zu können. Traditionell ist das eine gute Methode, um sicherzustellen, dass sich eine Lizenz auch dann rechnet, wenn man einen niedrigen Absatz veranschlagt. Aber verallgemeinern will ich das nicht, manchmal bietet sich ein Großformat auch einfach an.
MP: KAZÉ (Anime, Manga, Games) ist nun ja offiziell ein Label von Crunchyroll: Wird dies für euren Manga-Bereich irgendwelche Änderungen mit sich bringen? Plant ihr ein Umlabeln?
Michel: Nein, die KAZÉ-Labels bleiben alle unverändert bestehen. Bis auf ein oder zwei Zeilen im Impressum ändert sich für KAZÉ Manga jedenfalls nichts.
MP: In wenigen Monaten kommen eure neuen Titel wie Spy x Family in den Handel. Welcher ist davon euer Favorit und was macht ihn so besonders?
Patrick: Spy x Family wird definitiv unser Schwerpunkttitel im Herbst, für den wir auch richtig tief in die Kiste mit den Extras greifen werden. Alle Interessierten können sich schon mal auf zahlreiche Aktionen und Gimmicks freuen! In Japan selbst ist der Manga unglaublich erfolgreich und räumt dort reihenweise Preise ab. Wer die ersten Bände gelesen hat, wird auch verstehen, warum das so ist. Dieser Manga macht einfach unfassbar viel Spaß und daran mitzuarbeiten ist jeden Monat eine echte Freude. Man legt das Buch aus der Hand und hat den Rest des Tages einfach nur gute Laune. Mal ehrlich, was kann man mehr verlangen?! Aber auch unser Neustart Demon Slave ist für mich eine sichere Bank. Dass das ein weiterer Bestseller im KAZÉ-Manga-Programm wird, daran habe ich keine Zweifel.
MP: Bis vor Kurzem hat Corona die Wirtschaft noch enorm beeinflusst und auch heute sind die Veränderungen teilweise noch spürbar. Wie ist KAZÉ mit dieser Situation umgegangen, welche Maßnahmen habt ihr ergriffen und in wie weit wart ihr von der Situation betroffen?
Patrick: Die Auswirkungen spüren wir alle tatsächlich immer noch. Im März ist die gesamte Firma ins Homeoffice gewechselt und das wird wohl auch noch lange so bleiben. Zum Glück können wir unsere Arbeit auch von zu Hause aus sehr gut organisieren, aber die Effizienz ist ganz anders und gerade für Mitarbeiter*innen mit Kindern ist das schon ein neues Level an Herausforderung. Wirtschaftlich gesehen hat die Warengruppe Manga aber erstaunlicherweise kaum gelitten. Die Buchhändler haben schnell reagiert und Online-Versand und Abhol-Services organisiert. Das waren viele wirklich extrem kreativ, da muss man schon den Hut ziehen.
Michel: Anders sah es im Anime-Bereich aus: Hier war im Frühjahr für über einen Monat kaum was machbar. Wir haben kurzfristig alle April-Titel um einen Monat verschoben, weil die eh kaum jemand hätte kaufen können. Mittlerweile hat sich der Absatz hier aber wieder normalisiert.
Am härtesten getroffen hat es den Kino-Bereich. Die Kinos waren für drei Monate komplett dicht. Wir konnten die Anime Nights kurzfristig als Streams auf Anime on Demand zur Verfügung stellen, aber das ist mit einem Kino-Event natürlich nicht vergleichbar. Mit dem 23. Detektiv-Conan-Movie begleiten wir die Neueröffnung der Kinos jetzt von Anfang an und das läuft auch schon wieder sehr erfolgreich.
Einen Boost gab es hingegen für Anime on Demand, wie auch für allgemein alle Streaming-Anbieter. Das war angesichts der Situation ja zu erwarten.
MP: KAZÉ Games habt ihr ja verschoben. Wann darf man nun mit dem Start rechnen? In wie weit ändert sich dadurch etwas an eurer Planung?
Michel: Ja, KAZÉ Games war auch ein Leidtragender der Covid-19-Pandemie. Hier ist die Situation anspruchsvoller: Ein völlig neues Label in einem neuen Teilmarkt zu etablieren, ist auch zu normalen Zeiten schon eine Herausforderung. Ein neuer Mitspieler ist ganz besonders von der Promo auf Live-Events abhängig. Es sind ja nicht nur die LBM und die Anime-Cons abgesagt worden, sondern auch alle wichtigen Spielemessen, wie die Brettspielcon Berlin oder die Internationalen Spielertage Essen. Wir haben uns mit Spieleläden und Großhändlern der Branche beraten und beschlossen, den Termin erst mal ein gutes Stück zu verschieben und im Frühjahr 2021 dann endlich mit dem Label durchzustarten. Und dann mit Vollgas! Wir haben dann sogar ein weiteres Spiel im Programm, das wir noch gar nicht angekündigt haben.
MP: Versucht ihr bei der Lizenzierung eines Mangas / Anime auch den jeweiligen Gegenpart in euer Programm aufzunehmen?
Patrick: Das hängt in erster Linie vom Titel selbst ab, aber ja, wenn es machbar ist, versuchen wir das. Blue Exorcist, Tokyo Ghoul, One-Punch Man, We Never Learn, Die Monster Mädchen, sie alle zeugen davon, wie oft uns das schon gelungen ist. Ein Franchise komplett aus einer Hand bearbeiten und ausliefern zu können, ist unsere große Stärke und bietet natürlich jede Menge Vorteile, vom Marketing über die Übersetzung bis hin zum Vertrieb. Vor allem kann man dann für die Fans auch mal was Besonderes wie Kalender realisieren, was ansonsten eher schwierig wäre.
MP: Ihr hattet ja beispielsweise ein Vorleseevent zu Tokyo Ghoul. Plant ihr auch nach Corona mehr solcher Aktionen? Wie wurde das Event aufgenommen?
Patrick: Wenn damit unsere Live-Lesung auf der Leipziger Buchmesse gemeint ist: auf jeden Fall. Das war zwar nicht das erste Mal, dass wir so etwas gemacht haben, aber es kam auch hier wieder sehr gut an. Das ist einer der Vorteile, wenn man Anime und Manga gleichzeitig bedienen darf, dass wir wie hier auf unsere tolle Vernetzung im Synchron-Bereich zurückgreifen konnten.
MP: Wie sehen die Zukunftspläne für KAZÉ aus? Konntet ihr Ziele / Vorhaben, die ihr euch für dieses Jahr gesetzt habt, bereits umsetzen?
Patrick: Das sieht je nach Abteilung sehr unterschiedlich aus. Die Produktion geht weiter und solange keine zweite Welle alles über den Haufen wirft, werden wir mit jeder Menge fantastischer Neuheiten, Startersets, Komplettboxen und Sonderausgaben in die Wintersaison starten. Aber natürlich gibt es auch Dinge, die wir auf unbestimmte Zeit verschoben haben. Das betrifft nicht nur, aber vor allem die Messen und Conventions, die jetzt alle ins Wasser gefallen sind. Stattdessen suchen wir nach Alternativen, wie wir mit unseren Kunden in Kontakt bleiben und nach Service-Angeboten, die wir ihnen machen können. Bereits umgesetzt haben wir zum Beispiel die KAZÉ Connect Light. Das war eine tolle Erfahrung und ist offenbar gut angekommen. Mal sehen, was da sonst noch geht. Denn auch, wenn es sich manchmal so anfühlt, ist das Virus natürlich nicht weg und die Krise damit nicht vom Tisch. Also ziehen wir uns jetzt wie alle anderen erst mal weiter unsere Masken über Mund und Nasen und harren der Dinge, die da auf uns zukommen.
MP: Vielen Dank für das Interview!