In memoriam: Besprechung von „Shigeru Mizuki – Kriegsjahre“
Heute – am 30. November 2020 – vor fünf Jahren verstarb mit Shigeru Mizuki der Vater der modernen Yokai-Geschichten in Japan im hohen Alter von 93 Jahren. Erst kürzlich erschien im Berliner Reprodukt-Verlag, der auch weitere Werke von dem Künstler zu publizieren plant, der zweite Teil seiner gezeichneten Autobiographie, die den schlichten und doch aussagekräftigen Beititel Kriegsjahre trägt. Nachfolgend besprechen wir die Fortsetzung für euch.
Auch dieser Doppelband ist als großformatige Klappenbroschur gefasst. In dem Gesamtumfang von 488 Seiten sind leider keine farbigen Inhalte eingeschlossen, allerdings erwartet die Leserschaft zumindest ein redaktioneller Anhang, der mögliche Unklarheiten über die Bedeutung von ausgewählten Stichworten aufklärt. Auf ausführliche Anmerkungen innerhalb der Geschichte verzichtet der Verlag dankenswerterweise. Lediglich kurze Übersetzungen von Schriftzügen sind direkt am Rand des Werkes als Annotation vorzufinden.
Bereits seit Mitte des aktuellen Monats ist die deutschsprachige Fassung des Gekiga-Mangas auf Deutsch erhältlich. Monetär sind 24,00 Euro (D) angesetzt – ein angemessener Preis, wenn Format und Umfang sowie das Nischen-Dasein bedacht werden. Nora Bierich übersetzte auch diesen Teil der Erzählung ins Deutsche. Sie fertigte bereits die Translationen von Werken des Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe an und bewies zuvor eindrucksvoll ihr Gefühl für Sprache und Ausdruck.
Inhaltsbeschreibung
Während der erste Teil der autobiographischen Trilogie Mizukis Kind- und Jugendzeit abdeckt, also über sein Heranwachsen Zeugnis ablegt und zugleich den Bezug zu Tante NonNon aus seiner Nachbarschaft zieht, setzt Kriegsjahre in seinem 20. Lebensjahr an. Der naive Schüler, der zu diesem Zeitpunkt noch immer in seinem Leben strauchelte, wurde gerade für den Krieg eingezogen. Das Land im Fernosten war zu dieser Zeit über die Achse Berlin-Rom-Tokyo in den zweiten Weltkrieg involviert. Gleichzeitig bestanden Differenzen unter den Ländern und Nationen innerhalb Asiens. Millionen Männer standen in den Vierzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts somit an der Kriegsfront.
Auch Shigeru Mizuki – als Rekrut. In dem vorliegenden Band, der den dritten und vierten Part seiner insgesamt sechsteiligen Erzählung umfasst, beschreibt er aus der Retrospektive heraus die Situation seiner Kameraden und ihm. Er war in Rabaul in Neubritannien positioniert, einem Gebiet Papua-Neuguineas, das heute dem australischen Kontinent zugerechnet wird. Sowohl in Auf in den Heldentod, einem semi-autobiographischen Werk von ihm, als auch in Kriegsjahre schildert der zum Zeitpunkt des Verfassens deutlich angejahrte Mizuki die Situation aus seiner Position als Zeitzeuge heraus. Dabei übt er zugleich Kritik an dem japanischen Militärapparat – er prangert das Verhalten von Vorgesetzten gegenüber den in den Tod blickenden Soldaten ebenso wie den in den Hinschied leitenden japanischen Stolz der Streitmächte an. Die Sinnhaftigkeit eines Heldentodes – zum Beispiel – ist wiederholt Thematik.
In der ersten Hälfte des fast 500 Seiten umfassenden Mittelteils blickt Mizuki auf die verschiedenen Facetten des Daseins an der Front zurück. Beispielsweise behandelt er die Versorgungsprobleme, weist auf die Zustände hin, welche einige Soldaten zum Essen von Schnecken verleitet haben. Auch die marode Rüstungstechnik Japans erfährt in seiner Abhandlung Zuwendung. Ebenso bot seine Erfahrung mit der Infektionskrankheit Malaria Stoff für die Handlung.
Parallel platziert der Künstler eine Art Maskottchen in ausgewählte Panels der Geschichte, welches die historischen Hintergründe abseits von Mizukis damaligem Kenntnisstand erläutert. Unter anderem die Entwicklungen in Japan – in der Regierung und der Bevölkerung – werden auf diese Weise beleuchtet. Auch die Geschehnisse außerhalb der Grenzen Fernosts werden in Kriegsjahre dokumentiert. Die Beschreibung des Vorgehens des hochrangigen US-Soldaten Douglas MacArthur ist hierbei exemplarisch zu benennen.
Wie Shigeru Mizuki seinen linken Arm verliert und wie seine gesundheitliche Behandlung danach ablief, kann in diesem Teil ebenfalls nachgelesen werden. Die zweite Hälfte des Buches behandelt dagegen die ersten Jahre nach der Kapitulation Japans, Mizukis Rückkehr in sein Heimatland und seine diversen Tätigkeiten, bevor er sich vollzeitlich dem Zeichnen widmete. Sein Debüt-Manga Rocketman von 1957 findet bereits Erwähnung, ebenso das Garo-Magazin, für welches er im späteren Leben arbeitete.
Der zweite Sammelband von Shigeru Mizukis Manga-Autobiographie behandelt den Zeitraum ab 1943 bis in das Jahr 1959 und deckt somit sechzehn weitere Lebensjahre des Künstlers ab. Die Inhalte von Auf in den Heldentod werden erneut aufgegriffen und deutlich realitätsnäher und weitläufiger behandelt. Darüber hinaus offenbart der Japaner Einblicke in den Beginn seiner weiteren, kreativen Karriere nach dem Krieg.
Visualisierung
Obwohl der Manga um die Jahrtausendwende, also erst vergleichsweise spät entstand, erscheinen die Illustrationen altertümlich – Mizuki blieb seinem Stil treu. Dies korrespondiert unmittelbar mit der Atmosphäre des Titels, der Zeitgeist der Geschehnisse wirkt auf der inhaltlichen wie gezeichneten Ebene hervorragend eingefangen.
Mit der modernen Darstellung von Manga ist dies nicht vergleichbar. Dass Mizuki an seinen Geschichten mit lediglich einem Arm arbeitete, ist nicht zu bemerken. Die Abbildungen mögen häufig simpel gehalten sein, doch die Linien sind gerade und kräftig gezogen. Stellenweise sind jedoch Wunder der damaligen Mechanik originalgetreu wie anspruchsvoll bebildert: Flugzeuge und deren Trägerschiffe beispielsweise.
Neben einem virtuosen Umgang mit der Rasterfolie, die der Bebilderung notwendige Struktur und Kontraste verleiht, ist außerdem eine weitere Besonderheit der vorliegenden Arbeit zu betonen: Reale Fotografien sind Bestandteil einiger, ausgewählter Buchseiten. Diese tragen darüber hinaus zu dem zuvor erklärten Gefühl eines greifbaren Zeitgeists der Erzählung bei.
MIZUKI SHIGERU: BOKU NO ISSHÔ WA GEGEGE NO RAKUEN DA 2 © 2019 Mizuki Productions © 2020 Reprodukt
Mit beeindruckendem Geschick schafft es Mizuki, die ernste Thematik mit einigen humoristischen Elementen zu veredeln. Dabei euphorisiert er die Kriegszustände jedoch zu keiner Zeit. Wenngleich die Bilder in schwarz-weiß sind, ist dies ausreichend, um die schockierenden Verhältnisse der vergangenen Ära wirkungsvoll wiederzugeben.
Wenn der beschriebene Zeichenstil unserer Leserschaft noch nicht bekannt ist, ist es sicherlich empfehlenswert, die auf der offiziellen Webseite des deutschsprachigen Verlags hinterlegten Manga-Seiten zu betrachten. Diese vermitteln, was von dem Titel in optischer Richtung zu erwarten ist. Die enthaltene Seite 12 ist hierbei ein gutes Beispiel, wie Mizuki Zeichnung und Fotografie zu verbinden wusste.
Erzählweise
Das Publikum verfolgt das Geschehen aus Sicht des naiven Protagonisten Shigeru, dem Alter Ego des Schöpfers dieser umfangreichen Produktion. Parallel wird dieses von einer Art Maskottchen des Autoren kommentiert – somit werden der Leserschaft Informationen angereicht, die dem jungen Mizuki damals nicht bekannt waren. Somit ergibt sich ein tiefgreifendes Verständnis der dargestellten Verläufe.
Besonders lobenswert ist dabei die Erzählweise. Obwohl auch die Abwürfe der Atombomben durch die US-Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki behandelt werden, verbleibt Mizuki in seinen Manga weitestgehend rational, wenngleich nicht frei von Empathie. Er betont die Nöten der japanischen Nation und ihrer Bewohner, aber es liegt ihm fern, die Schuld an den Zuständen zuzuteilen. Er urteilt im Allgemeinen nicht, er berichtet – insbesondere in Bezug auf das Ausland.
Lediglich hinsichtlich des Pacings sind vereinzelt Schwächen zu identifizieren. Während die japanische Kriegsbeteiligung ausführlich, aber nicht schleppend, aufgearbeitet wurde, erscheint Mizukis Einstieg in die Berufswelt nach der Kapitulation Japans überhastet. Möglicherweise wird jedoch mit dem Abschlussband dieser Trilogie eine profundere Nacherzählung von diesem angereicht. So trägt dieser den Titel Mangaka und fokussiert sich demnach wohl ausschließlich auf seine Arbeit an den japanischen Comicgeschichten.
Über Shigeru Mizuki
Shigeru Mizuki gilt als einer der ersten japanischen Zeichner, der Manga für eine erwachsene Leserschaft geschrieben und gezeichnet hat. Geboren 1922, haben ihn vor allem die Kriegsjahre geprägt, in denen er im Dienst der Kaiserlichen Japanischen Armee in Papua-Neuguinea kämpfte und bei einem Luftangriff der Alliierten seinen linken Arm verlor.
Zurück in Japan zeichnete er ab 1959 die ersten Geschichten um die Figur des einäugigen Waisenjungen Kitarō, der sich in der Welt der Yōkai – Monster und Geister aus japanischen Legenden – bewegt und der zu seiner populärsten Schöpfung wurde, über die Jahrzehnte wieder und wieder in Zeichentrickserien und Realfilmen zum Leben erweckt. Neben seiner Faszination für die Welt des Übernatürlichen hat Shigeru Mizuki – nach seinen Erlebnissen von 1943 bis 1945 – zeitlebens auch an historischen Stoffen gearbeitet.
So erzählt er auf 2.000 Seiten die Geschichte der Shōwa-Zeit, legt eine Biografie von Adolf Hitler vor und beschreibt in “Auf in den Heldentod!”, basierend auf eigenen Erfahrungen, von japanischen Soldaten, die in Neubritannien zum Selbstmord genötigt werden. In “Non Non Ba” berichtet er von der eigenen Kindheit an der Seite einer alten Frau aus seinem Dorf, die ihm die Geschichten der Yōkai erzählt, die Shigeru Mizuki bis an sein Lebensende an seine LeserInnen weiterreicht und somit dazu beiträgt, eine japanische Tradition aufrechtzuerhalten.
Vielfach ausgezeichnet ist Shigeru Mizuki am 30. November 2015 im Alter von 93 Jahren in Tokio verstorben. (Reprodukt © 2020. Alle Rechte vorbehalten.)
Konklusion
Nachdem bereits der erste Teil der Trilogie einen äußerst positiven Eindruck bei unserer Redaktion hinterließ, ist auch dessen Fortsetzung mit der Betitelung Kriegsjahre eine besonders hohe Güte zu attestierten. Obwohl sich der Titel eher an ein ausgewähltes Publikum richtet, sind wir davon überzeugt, dass er tendenziell jede*n Geschichtsinteressierte*n zu begeistern weiß.
Trotz der ernsthaften Thematik deprimiert die Nacherzählung nicht, sie klärt auf und kritisiert – jedoch nicht mit dem Anspruch der Objektivität oder dem sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger, sondern der subjektiven Sicht eines damals jugendlichen wie lebensunerfahrenen Zeitzeugen dieser Vorgänge. Mizukis biographischer Hintergrund berührt; er selbst bittet jedoch nie um Mitgefühl.
MIZUKI SHIGERU: BOKU NO ISSHÔ WA GEGEGE NO RAKUEN DA 2 © 2019 Mizuki Productions © 2020 Reprodukt
Vielmehr sind einige Passagen seine Erzählungen aufgrund der als einfältig dargestellten Persönlichkeit des jungen Protagonisten erheiternd. Verlag Reprodukt bietet der Geschichte mit der großformatigen Klappenbroschur eine würdige wie preiswerte Veröffentlichung. Das ausgesuchte Publikum, an welches sich diese Art Manga vornehmlich richtet, sollte nicht zögern, die 24,00 Euro (D) für das Buch gut in dieses zu investieren. Damit wird ein zu schätzendes Stück Kulturgeschichte erworben, ,einen wir.
Auf der offiziellen Website des deutschsprachigen Herausgebers ist zudem die erwähnte Leseprobe hinterlegt, die einen weiteren Einblick für potenziell interessierte Leser*innen bietet. Im Verlagsshop ist eine Bestellung möglich, die den Verlag in besonderer Weise unterstützt. Die Bücher können jedoch auch regulär über jeden (Online-)Händler bezogen werden – vor Ort kann ebenfalls um Bestellung gebeten werden.
Abschließend möchten wir Reprodukt einen besonderen Dank für das Bereitstellen eines Belegexemplars aussprechen.