Besprechung zu Yukio Mishimas „Sonne und Stahl“
Nachdem wir im vergangenen Jahr bereits eine Besprechung zu Tatsuo Horis Novelle Der Wind erhebt sich vorgelegt haben, rücken wir mit Sonne und Stahl von Yukio Mishima nun eine weitere Veröffentlichung aus dem Mitteldeutschen Verlag in den Mittelpunkt.
Offizieller Release war Ende Juni, das Buch ist im gut sortierten Handel sowie (online) unter der ISBN 978-3963117312 zu finden. Zum Preis von 20,00 € wird ein Gesamtumfang von rund 130 Seiten im fadengebundenen Hardcover mit den Maßen 14,2 × 21,6 cm geboten. Wahlweise ist auch eine E-Book-Fassung für 15,99 € erhältlich.
Inhaltsbeschreibung
»,Sonne und Stahl‘ ist eine Darstellung meines fast schicksalhaften dualistischen Denkens und eine Erzählung über die physiologische Notwendigkeit, dualistisches Denken zu entwickeln.« Yukio Mishima
Yukio Mishima gilt als einer der bedeutendsten und meistübersetzten Autoren Japans. Er wurde nicht nur durch seinen Roman „Bekenntnisse einer Maske“, sondern auch durch seinen Selbstmord 1970 weltbekannt. Damals hatte er in Tokio in einer theatralischen Aktion einen Putsch zugunsten des japanischen Kaisers ausgerufen und dann vor aller Augen Harakiri begangen.
In seinem autobiografischen Spätwerk „Sonne und Stahl“, das 1968 als Gesamttext veröffentlicht wurde, reflektiert Mishima vor dem Hintergrund seiner intellektuellen, spirituellen und physischen Entwicklung insbesondere die Beziehung zum eigenen Körper, zu dem er erst in seiner zweiten Lebenshälfte durch obsessives Training in Bodybuilding und Kampfkunst sowie einer Episode beim japanischen Militär einen positiven Bezug entwickeln konnte.
Mittels einer eigenwillig subversiven und elektrisierend poetischen Metaphorik lässt er uns teilhaben an seiner Verwandlung vom „Mann der Worte“ zum „Mann der Tat.“ In dieser paradoxen Verfassung kreiert er, den parasitären Worten zum Trotz, eine mystische Sprache des Körpers, um seine persönliche „Fleischwerdung des Logos“ zu inszenieren. (© Mitteldeutscher Verlag)
Aufbau & Ausdruck
In Sonne und Stahl schildert Yukio Mishima chronologisch die Entwicklung seiner über Jahrzehnte kultivierten Überzeugungen. Die Ausführungen beginnen mit der Definition von Worten als Basis trügerischer Illusionen, danach wird in den für den Autor prägenden Körperkult übergeleitet. Bereits früh wird im Zuge dessen auf die Bedeutung der Titelgebung, auf das Konzept von Sonne (= die spirituelle Welt) und Stahl (= die physische Realität), eingegangen.
Sukzessive wird eine ureigene Philosophie herausgearbeitet, überwiegend orientiert an traditionellen Vorstellungen und verbunden mit dem Streben nach vollständiger, erfahrbarer Existenz. Schmerz und Tod als Bestätigung für das Leben sind hierbei zentrale Motive. Richtung Ende formiert sich schließlich Yukio Mishimas Erkenntnis zur notwendigen Einheit von Geist und Körper, die die essayistische Zusammenstellung – trotz kontroverser Auffassungen – stimmig abrundet.
Besonders interessant sind die eingestreuten Berichte zum Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach. Der Epilog F–104 rund um die Vorstellung, in dem Lockheed-Kampfflugzeug sitzend, den Fuji zu überfliegen und ein kurzes Gedicht namens Ikarus schließen die vorliegende Komplettausgabe, die ursprünglich 1986 von Kodansha publiziert wurde, ab.
Stilistisch ist das Werk mal simpler, mal komplexer abgefasst – aber nie ohne einen gewissen Anspruch an die Aufmerksamkeit der Leserschaft. Nicht alle Argumentationen sind ohne Weiteres zu greifen. Hier helfen allerdings die regelmäßigen Resümees einzelner Gedankengänge sowie ausgefeilte Metaphern. Selbstredend wird bei dieser Sorte Text die Bereitschaft, sich in die präsentierte Sinnesart einzudenken, trotzdem unweigerlich vorausgesetzt.
Die Japanologin Sabine Mangold hat nach Der Wind erhebt sich auch Sonne und Stahl übersetzt. Neben der ausgesuchten Wortwahl und dem merklichen Gespür für eine stilechte Syntax entzücken die erläuternden Fußnoten. Mit diesen wird (unter anderem) auf multiple Bedeutungsstrukturen der Kanji aus dem Original hingewiesen. Für besonders Interessierte wird auf diese Weise ein möglichst umfassendes Verständnis geschaffen.
Fazit
Mit Sonne und Stahl hat der Mitteldeutsche Verlag erstmals eine deutschsprachige Ausgabe von Taiyou to Tetsu veröffentlicht. Yukio Mishima gilt, nicht zuletzt aufgrund seiner außergewöhnlichen Lebens- und Schaffensgeschichte, als einer der meistbeachteten Autoren Japans. In der vorliegenden Sammlung wird eine Vielzahl seiner Kernüberzeugungen aufgegriffen – im Fokus stehen sein Verständnis von Geist und Körper. Daneben finden sich Erläuterungen über seine Wahrnehmung von Ästhetik und Männlichkeit.
Bereits in diesen vor seinem Freitod 1970 entstandenen Schriften sind zahlreiche Verweise auf das Sterben als geplanten Akt, als Höhepunkt, auf den dezidiert hingearbeitet wird, zu identifizieren. Yukio Mishimas autobiografische Schilderungen über seinen Körperkult mit der offenkundigen Romantisierung des Sterbens sind, nüchtern betrachtet (jedoch nicht ausschließlich), exzentrische Kunst. Genau damit wird die interessierte Leserschaft gefesselt. Gleichwohl lassen einzelne Passagen ein unbehagliches Gefühl zurück. In jedem Fall ist dem Schriftsteller eine Form der Unsterblichkeit sicher.
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Obwohl mitunter nicht jeder Gedankengang rational nachzuvollziehen sein mag, scheint Yukio Mishima bemüht, seine Ansichten zu vermitteln. Komplexe Aneinanderreihungen fanatisch-grotesker Überzeugungen und einfach zu fassende Ideen mischen sich dabei übergangslos. Großes Lob ist der Japanisch-Übersetzerin Sabine Mangold sowie der verantwortlichen Lektorin Sabine Franke auszusprechen, die mit der vorliegenden Fassung Literaturgold für einen anspruchsvollen Geist geschaffen haben.
Insofern ist Sonne und Stahl aber weder mit Mainstream-Manga noch mit Light Novels zu vergleichen – hier wird stattdessen ein Hybrid zwischen Autobiografie und philosophischem Essay mit sprachlichen Herausforderungen geboten. Gleichzeitig ist Yukio Mishima nicht gänzlich von der japanischen Populärkultur isoliert zu betrachten. Sein kreatives Schaffen, und mit Sicherheit auch sein Lebensweg, dürfte(n) diverse Produktionen inspiriert haben.
Das rund 130 Seiten lange Buch bietet Gelegenheit, einen für den westlichen Raum weitestgehend verborgenen Teil der japanischen Kultur genauer zu ergründen. Mit 20,00 € ist das Hardcover für das adressierte Publikum unserer Einschätzung nach fair eingepreist. Papier und Fadenbindung machen einen hochwertigen Eindruck.
Der Mitteldeutsche Verlag hat diesen Artikel freundlicherweise mit einem Belegexemplar unterstützt.