Besprechung zu Seiko Itos „Das Romanverbot ist nur zu begrüßen“
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Nachdem wir zuletzt schon Shugoro Yamamotos Die Rache und Chisako Wakatakes Jeder geht für sich allein besprochen haben, rücken wir mit Das Romanverbot ist nur zu begrüßen – So einen seltsamen Roman haben Sie noch nie gelesen, glauben Sie mir. nun eine weitere Veröffentlichung aus dem jüngst geschlossenen cass verlag in den Mittelpunkt.
Das Buch ist seit Mai 2021 im deutschsprachigen Handel erhältlich. Zum Preis von 22,00 € wird ein Gesamtumfang von fast 160 Seiten im Hardcover mit halbtransparentem Schutzumschlag und Lesezeichenband geboten. Während der Umschlag von dem Schriftzug So einen seltsamen Roman haben Sie noch nie gelesen, glauben Sie mir. geziert wird, ist auf das darunter liegende Buch der Titel Das Romanverbot ist nur zu begrüßen eingeprägt. Interessierte können den Release beispielsweise über Amazon *WERBUNG oder Thalia *WERBUNG beziehen, bei Bestellungen über den Handel vor Ort empfiehlt es sich gegebenenfalls, die ISBN 978-3-944751-26-9 bereitzuhalten.
Inhaltsbeschreibung
Es ist das Jahr 2036, ein 75-jähriger Autor sitzt in einer Einzelzelle einer Gefangenenanstalt der sogenannten Asiatischen Union. Kontakt zur Außenwelt hat er nicht, zwei Mitarbeiter der Einrichtung, die jeweils kaum erkennbar in weiße Strahlenschutzanzüge gekleidet sind, sind die einzigen Menschen, die er gelegentlich sieht.
Innerhalb der Gefängnisstrukturen kursiert ein Magazin, das Requies. Genau für dieses beginnt der angejahrte Häftling Nummer 86 zu schreiben – natürlich, wie er betont, unter Achtung der gesetzlichen Vorgaben. Der von ihm als Essay angepriesene Text soll, so die Darstellung des Herrn 86, eine Romankritik sein. Unter ausgewählten Beispielen, die er stets meint (nahezu) sicher zitieren zu können, will, so sein eigenes Postulat, der Autor das destruktive Potenzial von Romanen, von Inhalten fiktionaler, fantasieanregender Literatur, offenlegen.
Schrittweise umkreist der Senior in seinen Aufzeichnungen verschiedene Aspekte des Schreibens, der Inszenierung und des Ausdrucks. Gelegentlich schweift er ab, fügt persönliche oder anderweitige Anekdoten bei. Dass die unbekannten Obrigkeiten, zumindest ein Beamter mit dem Decknamen Liang, seine Abhandlungen genau durchsehen und mitunter schwärzen, ist ihm dabei wohl bewusst …
Aufbau & Stil
Das Werk setzt sich aus zehn etwa gleich langen Kapiteln zusammen, die in sich noch einmal mit Sternchen – ähnlich wie bei Heftromanen – unterteilt sind. Vereinzelt werden kleine Schaubilder zur Unterstützung der im Fließtext enthaltenen Konzeptionen angereicht. Ausgearbeitete Illustrationen, wie sie etwa von Light Novels bekannt sind, sind dagegen nicht zu erwarten.
Seiko Ito kuratiert in Das Romanverbot ist nur zu begrüßen – So einen seltsamen Roman haben Sie noch nie gelesen, glauben Sie mir. verschiedene Merkmale, die sein Schaffen merklich von den (meisten) anderen Autoren abtrennen. Passend zur Zensur-Thematik ist im Japanischen komplett auf Katakana verzichtet, jenes Silbenalphabet, das vor allem für Lehnwörter genutzt wird. Das bewusste Umschiffen von Begriffen aus dem Englischen wurde für die Übersetzung übernommen, so werden Computer etwa „Elektronenrechner“ genannt. Bestimmte Begrifflichkeiten, zum Beispiel „USA“, sind zudem geschwärzt.
Eine weitere Besonderheit ist der Satzbau. Durch den Gebrauch des Imperfekts lesen sich einige Passagen, wie es auch im Original sei, etwas behäbig. Auch darüber hinaus gestaltet sich der Ausdruck, zumindest auf den ersten Blick, komplex. Zentraler Grund dafür sind die zahlreichen Einschübe, die einen Satz schnell auf eine Drittelseite anwachsen lassen. Details dazu sowie eine Übersicht an Autoren, auf die im Verlauf der rund 150 Seiten an Hauptinhalt mal mehr und mal weniger implizit referiert wird, darunter Yukio Mishima und Franz Kafka, sind auch in dem frei verfügbaren Nachwort von Übersetzer Dr. Jürgen Stalph nachzulesen.
Dass dieser exzeptionelle Stil überhaupt in der deutschsprachigen Fassung zu vernehmen ist, ist vornehmlich Dr. Jürgen Stalph zu verdanken, der die Übertragung aus dem Japanischen angefertigt hat. Wie vom cass verlag gewohnt, sind keine Fehler in der Orthografie aufgefallen. Interessierte können mithilfe der Download-Preview das gesamte erste Kapitel kostenlos lesen.
Fazit
Das Romanverbot ist nur zu begrüßen – So einen seltsamen Roman haben Sie noch nie gelesen. ist, wie die doppelte Benennung richtig andeutet, ein als Essay getarnter Roman. Der Ich-Erzähler, in dem auch ein merkliches Maß an Autor Seiko Ito selbst steckt, leistet unter dem Deckmantel der Romankritik nicht nur eine beispielgestützte Übersicht ausgewählter Literaturtheorie, sondern erzählt selbst einen Roman – mit sich entwickelndem Plot sowie (impliziten) Wechseln bei den Schauplätzen und der Erzählzeit. Am Ende jeden Kapitels sind zusätzlich kurze Anmerkungen aus Perspektive der Asiatischen Union notiert. Bereits wegen dieser Eigenschaften handelt es sich, dem 75-jährigen Ich-Erzähler zufolge, bei dem hier Vorliegenden um einen Roman.
Die Leserschaft wird in eine Dystopie in nicht allzu ferner Zukunft versetzt; Informationen zu den Krisenzeiten, die zum Jahr 2036 hingeleitet haben, werden nur tröpfchenweise durchgestochen. Entsprechend viele Freiheiten sind bei der individuellen Interpretation beziehungsweise Auslegung gewährt, wie das der (fiktive) Roman nun einmal erlaubt.
Das Romanverbot ist nur zu begrüßen ist, politisch gelesen – wie es wohl kaum zu vermeiden ist, ebenso wenig Assoziationen mit dem modernen China oder anderen Autokratien –, ein Plädoyer für Freiheit. Dabei mahnt Seiko Ito auch vor den Gefahren von Desinformationen, die im digitalen Raum wohlgedeihen. Letzteres ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz nur mit Sorge zu bestätigen. Die Frage, ob eine wie die im Werk beschriebene Welt schon bald Wirklichkeit werden könnte, bleibt – unweigerlich – nicht aus. Sie hallt sogar über die Lektüre hinaus nach.
Diese inhaltliche Nahbarkeit wird durch die angewandte Sprache, welche es zugegebenermaßen erst einmal zu durchdringen gilt, kontrastiert. Trotz der (scheinbaren) Komplexität einiger Satzstrukturen ist das – nicht zuletzt dank der deutschsprachigen Übersetzung, die aus unserer Sicht nicht genug zu loben ist – bei entsprechendem Willen, Interesse, gut möglich.
Wir empfehlen Das Romanverbot ist nur zu begrüßen – So einen seltsamen Roman haben Sie noch nie gelesen. vor allem jenen, die nicht nur nach einem dystopischen (Polit-)Setting gieren, sondern sich auch für den Roman als Medium interessieren. Bedingt durch die erklärte Dualität im Format und den angelegten Stil ist die Veröffentlichung zweifelsohne ein Kandidat für den Literaturkanon des 21. Jahrhunderts.
Der cass verlag hat diesen Artikel freundlicherweise mit einem Belegexemplar unterstützt.